In der Amazon-Serie „American Gods“ kämpfen die alten Götter um ihren Stand und ums blanke Überleben. Mittendrin: Ricky Whittle als Shadow Moon. Eine Begegnung mit dem britischen Schauspieler.

Bonn - „Shadow Moon macht eine wirklich harte Zeit durch“, sagt Ricky Whittle und winkt ab. Dem 35-jährigen Schauspieler geht es da vergleichsweise besser: Der Brite sitzt in einem Bonner Hotelzimmer mit Rheinblick, lächelt zufrieden und wirkt in seiner hippen Freizeitkleidung fast wie das Gegengewicht zum altertümlichen Interieur des Hotel. Wer in dieser Anordnung aus der Zeit gefallen ist, bleibt Ansichtssache – fast wie bei „American Gods“, der Anfang Mai gestarteten Amazon-Serienadaption von Neil Gaimans gleichnamigem Buch. Nach nur zwei ausgestrahlten Folgen entschied der US-Sender Starz, eine zweite Staffel zu produzieren.

 

Ricky Whittle spielt den vom Schicksal verlassenen Shadow Moon. Der Kleinkriminelle soll gerade aus dem Gefängnis entlassen werden, als er erfährt, dass seine Ehefrau bei einem Autounfall ums Leben kam. Als ob das nicht mies genug wäre, hatte sie just zu diesem Zeitpunkt auch das primäre Geschlechtsorgan seines besten Freundes im Mund – kurz: Gute Tage fangen im Regelfall anders an. Für alle Beteiligten.

Whittle sieht’s ähnlich: „Als die Frau stirbt, die alles für ihn bedeutete, ist Shadow sprichwörtlich nur noch ein Schatten seiner Selbst. Er ist ein gebrochener Mann, eine leere Hülle. Shadow glaubt an nichts mehr, will nichts wissen und lässt sich nur noch treiben“, sagt Whittle. „Er folgt höchstens noch logischen Gesetzmäßigkeiten und fragt sich dementsprechend, ob er high ist oder verrückt wird, als plötzlich immer merkwürdigere Dinge passieren.“

Ziemlich viel Mord, Totschlag und Blut

Denn auf dem Weg zur Beerdigung trifft Shadow Moon den mysteriösen Lebemann Mr. Wednesday (Ian McShane), der ihm einen gut dotierten Job als Bodyguard anbietet. Plötzlich steht Shadow Moon mitten in einer Welt, in der Götter greifbar und Magie Tagesgeschäft sind. Ziemlich viel Mord, Totschlag, Blut und ruppiger Geschlechtsverkehr gehören auch dazu. Denn da draußen tobt ein unerbittlicher Krieg: die alten Götter gegen die junge Garde aus Heilsbringern und Götzen wie Technik, Fortschritt und Medien – da fallen Späne, noch ehe gehobelt wird. Schließlich sehen Religion, Mythologie und Folklore einer Zukunft ins Auge, die sie langsam aber sicher wegrationalisiert.

Whittle selbst mag keine Empfehlungen aussprechen, auf welchen Gott er denn nun sein Geld verwetten würde: „Ich wurde katholisch erzogen. Doch nur weil ich daran glaube, bedeutet das nicht, dass alle anderen auf dem Holzweg wären. Weit wichtiger ist, überhaupt an etwas zu glauben. Der Glaube soll keinen Keil zwischen uns treiben, sondern die Reise besser machen – und egal welche Route wir da wählen, das Ziel ist immer das gleiche: nach vorne. Was immer dich da hinbringt ist völlig Ordnung: eine Person, die du liebst, Glaube, Wissenschaft oder Technologie. Egal. Hauptsache vorwärts.“

„American Gods“ wiederum zeichnet diesen Weg in eine Spur aus Blut, manchmal haarscharf an der Grenze zu Splatter und ähnlich gelagerten Unappetitlichkeiten. Doch Whittle war freilich bewusst, dass der Regisseur David Slade und der Drehbuchautor Bryan Fuller durchaus eine Schwäche für ästhetisch überzeichnete und detailverliebte Grausamkeit haben:

Dreimal war er für den Titel „Sexiest Male“ nominiert

„Beide haben gemeinsam an der Serie ,Hannibal’ gearbeitet“, erzählt Whittle. „Auch die war unglaublich blutrünstig, doch eben mit einem künstlerischen Anspruch. Das ist der Kern der Sache, genauso wie bei Nacktheit: Wenn es die Geschichte unterstützt und gut gemacht ist, dann gefällt mir das.“ Whittle lacht: „Nur nackt sein, damit ich nackt bin – da entgeht mir der Sinn.“

Obendrein ist Whittle das Geschäft mit den Oberflächlichkeiten mittlerweile durchaus geläufig: So führte ihn sein Weg bisher vom Werbe-Model zum Darsteller in der Seifenoper „Hollyoaks“, später zu etwas ambitionierteren US-Serien wie „The 100“ oder „Mistresses“ und nun zum vorläufigen Höhepunkt: „American Gods“.

Und natürlich ist er auch etwas zu schön, als dass man das tatsächlich übersehen könnte. Gleich 2007, 2008 und 2009 wurde er für den Titel „Sexiest Male“ bei den British Soap Awards nominiert. Er lacht: „Ha, und 2010: gar nichts! Das ist mir auch beim ,People Magazine’ in den USA passiert. Ein Jahr werde ich auf die Liste gesetzt und kaum zwölf Monate später: nicht mehr existent. Obwohl ich sogar Sport gemacht habe.“

Das Buch von Neil Gaiman durfte er nicht lesen

Plötzlich wird Whittle wieder ernst: „Schönheit wäre auch eine dieser Gottheiten, der sich die Serie noch annehmen könnte.“ Denn Platz für mehr Geschichten bietet die Geschichte von Neil Gaiman allemal, und das nicht nur, da die erste Staffel gerade hundert Seiten des Buches umfasst, sondern weil auch selbst dieses erste Gerüst bereits die Fantasie in Wallung bringt.

Das Buch hat Whittle gar nicht gelesen. Er durfte nicht: „Das ist mir auch noch nicht passiert: Man nötigte mich förmlich dazu, es beiseite zu legen. Die Regisseure wollten nicht, dass ich mich zu sehr daran orientiere. Und da ist etwas Wahres dran: Es ist völlig okay, die Serie am Anfang nicht zu verstehen. Shadow Moon geht es genauso. Der Zuschauer lernt gemeinsam mit ihm.“

Und eines hat Ricky Whittle bereits von seinem neuen Alter Ego gelernt: „Er redet meist nur das Nötigste. Ich sag’ mal: Wir werden mit zwei Augen, zwei Ohren, aber nur einen Mund geboren. Vielleicht sollten wir doppelt so viel beobachten und zuhören als reden.“