Lonesome George war die berühmteste Schildkröte der Welt. Nach seinem Tod galt die Riesenschildkröten-Art der Galapagos-Inseln als ausgestorben. Nun gibt es Hoffnung.

Paris - Mit allen Ehren sind die sterblichen Überreste von Lonesome George nach Hause auf die Galapagos-Inseln zurückgekehrt. So, wie es sich für den letzten Vertreter einer Art gehört. Seine Verwandten hatten auf der Galapagos-Insel Pinta gelebt, die mit 59 Quadratkilometern nicht größer als die Stadtfläche von Göppingen ist. Auch wenn ihre Heimat nicht groß war, entwickelten die Riesenschildkröten anscheinend kaum Ambitionen, ihre Insel zu verlassen. Und weil auch kaum Besucher von anderen Inseln zu ihnen kamen, entwickelten sich die Pinta-Schildkröten schließlich zu einer eigenen Art.

 

Die kam in Schwierigkeiten, als von Seefahrern dort ausgesetzte Ziegen überhandnahmen und den Schildkröten das karge Futter vor dem Maul wegfraßen. 1971 wurde Lonesome George als offensichtlich Letzter seiner Art von Pinta evakuiert. Als er in der Nacht auf den 24. Juni 2012 an Altersschwäche starb, ohne vorher noch Nachkommen gezeugt zu haben, war der Globus wieder um eine Art ärmer geworden.

Neue Chance für die Galapagos-Riesenschildkröte

Es sei denn, Gisella Caccone von der Yale-Universität im US-Bundesstaat Connecticut lässt die Pinta-Riesenschildkröte von den Toten wieder auferstehen: 2008 hatte die Forscherin auf einer Expedition zum 1707 Meter hohen Vulkan „Wolf“ auf der Galapagos-Insel Isabella im Erbgut der dort lebenden Riesenschildkröten eine sensationelle Entdeckung gemacht: Mehrere der untersuchten Exemplare hatten Vorfahren, die von den Inseln Pinta und Floreana gekommen sein mussten.

Dabei war die Unterart von Floreana bereits um das Jahr 1850 ausgestorben und von der Pinta-Unterart lebte 2008 nur noch Lonesome George. Wie also sollten die Altvorderen der Wolf-Schildkröten von Floreana und Pinta übers Meer zum viele Dutzend Kilometer entfernten Vulkan Wolf gekommen sein?

Die Spur der Walfänger

Die Logbücher von Walfangschiffen und Piraten verraten das Geheimnis: Bei den Seeleuten waren die Riesenschildkröten als lebender Proviant sehr beliebt. Begehrt waren vor allem die Arten, deren Panzer am Nacken nach oben gewölbt war und so einem Sattel mit vorne liegendem Wulst ähnelte. An diesem Wulst reckten die Schildkröten ihren Hals weit in die Höhe, um die stachligen Triebe in den Kronen der Baum-Opuntien abzuweiden. Genau diese, auch noch sehr gut schmeckenden Arten, die auf den flacheren Inseln Pinta und Floreana vorkamen, hievten die Mannschaften gern an Bord.

Mehr als einmal überluden sie mit diesem lebenden Proviant ihre Fahrzeuge und warfen einige Tiere in der Banks-Bucht im Norden der Insel Isabela nicht weit vom Vulkan Wolf entfernt wieder über Bord. Im Meer erwiesen sich die Sattelpanzer als Lebensretter, weil die Schildkröten so ihre Köpfe auf den langen Hälsen über die Wellen strecken konnten, um nach Luft zu schnappen.

Offensichtlich schafften es einige dieser Ausgesetzten so bis an Land. Auf der 120 Kilometer langen Insel Isabela trafen die Gestrandeten die dortigen Ureinwohner, die allerdings keinen Sattelpanzer hatten und zu anderen Arten gehörten. Nach einiger Zeit schlüpften aus Eiern kleine Schildkröten, die ihr Leben einer Liaison zwischen den Gestrandeten und den Ureinwohnern verdankten. Die Nachkommen dieser Tiere hatte Gisella Caccone bei ihrer Expedition im Jahr 2008 aufgestöbert.

Der einzigartige Lonesome George

Das Erbgut von Lonesome George

Am Ende des Jahres 2015 kamen die Forscher gemeinsam mit Rangern des Galapagos-Nationalparks zurück und durchkämmten in einer schweißtreibenden und äußerst anstrengenden Expedition direkt am Äquator erneut die Hänge des Vulkans Wolf. Von mehr als 1300 Schildkröten nahmen sie dabei Blutproben.

Die 21 Weibchen und elf Männchen mit den auffälligsten Sattelpanzern wurden in Netzen von einem Helikopter auf das Deck des Nationalpark-Schiffes Sierra Negra gehievt. Mehr Tiere passten leider nicht an Bord. Diese Schildkröten leben seither auf der Insel Santa Cruz im alten Gehege von Lonesome George, sowie im Nachbargehege. Pingelig genaue Erbgutanalysen sollten bald zeigen, in welchen Tieren noch das Blut der Pinta- und der Floreana-Schildkröten fließt.

Neues Schildkräten-Leben aus Gen-Kreuzungen

Die Schildkröten mit dem meisten Pinta-Erbgut wollen die Forscher dann miteinander kreuzen und ähnlich auch die Floreana-Schildkröten zurück züchten. Nach ein paar Jahren könnte man dann Schildkröten haben, deren Erbgut zu 95 Prozent von Floreana oder Pinta stammt. „Mit einigen dieser Erbeigenschaften haben sich die bisher für ausgestorben gehaltenen Arten wohl auch an die Parasiten und Krankheitserreger ihrer Inseln angepasst“, erklärt die Geschäftsführerin der „Freunde der Galapagos Inseln (Schweiz)“ Paquita Hoeck. Wieder auf ihren früheren Heimatinseln angesiedelt, sollten die Rückzüchtungen also gute Chancen haben, sich dort zu behaupten. Lonesome George könnte von den Toten wieder auferstehen.

Info – Galapagos und die Riesenschildkröten

Galapagos-Inseln

Die Galapagos-Inseln werden seit mindesten acht Millionen Jahren von Vulkanausbrüchen am Grund des Pazifischen Ozeans über den Meeresspiegel gehoben. 18 große, drei kleine und mehr als hundert Mini-Inseln, die oft nicht mehr als Felsen im Meer sind, liegen direkt am Äquator rund tausend Kilometer vor der Küste Ecuadors.

Landtiere erreichen den abgelegenen Archipel nur in seltenen Ausnahmefällen. Haben sie sich dort einmal etabliert, verlassen die Landbewohner ihre jeweilige Insel nur sehr selten. Daher können sich mit der Zeit auf jeder der Inseln eigene Arten entwickeln. Genau diese Beobachtung gab Charles Darwin die wichtigsten Anstöße für seine Evolutionstheorie.

Riesenschildkröten

15 Riesenschildkröten-Arten kennen Zoologen auf den Galapagos-Inseln. Davon gelten fünf Arten, die auf relativ kleinen Inseln gelebt hatten, einschließlich der Pinta-Schildkröte als ausgestorben. Die Insel Isabela ist aus fünf Vulkanen zusammengewachsen und wurde so zur größten Galapagos-Insel. Weil die Riesenschildkröten die Lavafelder zwischen diesen Vulkanen kaum überqueren können, hat sich an jedem Vulkan eine eigene Art entwickelt.

Die Aldabra-Riesenschildkröte auf den Seychellenim Indischen Ozean und die Galapagos-Arten sind die einzigen Riesenschildkröten, die heute auf der Erde leben. Beide Gruppen sind nicht näher miteinander verwandt. Die Galapagos-Arten sind ein wenig größer und haben bis zu 130 Zentimeter lange Panzer. Ein Männchen brachte es in Gefangenschaft zu einem Gewicht von 422 Kilogramm.