Die Chicagoer Punkband Rise Against lässt sich am Montagabend in der Stuttgarter Schleyerhalle feiern. In der ersten Reihe gibt’s Verletzte. Und am Ende wird es politisch.

Stuttgart - Tim McIlrath ist zufrieden. Beschwingt hüpft der Sänger der Band Rise Against am Montagabend über die Bühne der Stuttgarter Schleyerhalle, und wie könnte er auch nicht zufrieden sein: Nach jedem Song ergießt sich frenetischer Jubel aus dem Publikum.

 

Es mögen die vielen tausend Arme sein, die sich der Band ekstatisch entgegenstrecken. Oder das Meer auf und ab hüpfender Köpfe, über die Scheinwerfer hinwegfahren. Vielleicht sind es auch die Feuerzeuge, später, bei einem Akustik-Song. Oder der Circle Pit, der bei fast jedem Song entsteht. So oder so: Tim McIlrath spürt die Liebe. Das klingt auf Englisch nicht weniger platt als auf Deutsch: „I can feel the love“, erklärt der Sänger aus Chicago den Stuttgartern. Das mag von Herzen kommen, hat aber einen nicht ganz so subtilen pathetischen Unterton. Recht hat er trotzdem.

Die Fans, für eine von nur drei Shows hierzulande aus ganz Süddeutschland nach Stuttgart gekommen, feiern Rise Against. Bei Songs wie „The Good Left Undone“, „Give it All“ oder „Satellite“ feiern sie sogar so heftig, dass die Sanitäter kaum eine Ruhepause bekommen. Eine Zeit lang, in der ersten Hälfte des Konzerts, wird einer nach dem anderen auf der Trage weggebracht. Am Rande des Stehbereichs, abseits der Massen, steht ein junger Mann und drückt ein Tuch fest auf den Hinterkopf.

Ist das noch Punkrock?

Vor dem Konzert, erzählt McIlrath, habe er die Schleyerhalle mit dem Skateboard erkundet. Und sie ist ja, obgleich gut gefüllt, eigentlich viel zu groß. Jedenfalls fragt man sich ab und an, ob Rise Against tatsächlich Punkrock abliefern. Klar, die Musik ist ohne Frage Punkrock. Die Verletzten in der ersten Reihe auch genretypisch. Aber das Intro lässt eher eine perfekt durchchoreografierte Popshow erwarten. Für die Besucher am hinteren Hallenende wird das Konzert zudem auf zwei riesige Bildschirme geworfen. Das ist dann schon weniger Punkrock.

Und dann sind da noch die Sitzplätze. Wer, bitte, sitzt bei einem Punkkonzert? Nun kann die Band zu den örtlichen Gegebenheiten nichts. Die Preise sind dennoch happig: 44 Euro für einen Sitzplatz, 48 für einen Stehplatz. Das Konzerterlebnis auf der Tribüne steht im krassen Gegensatz zu dem der hüpfenden, tanzenden, wild zappelnden Massen im Stehbereich. Wer in seinen Schalensitz gesunken ist, wippt oder klatscht allenfalls mit. Wer aufsteht, weil so ein Konzert im Sitzen sich einfach von Grund auf falsch anfühlt (wir sind ja hier nicht beim Musikantenstadl!), wird vom Ordner zurechtgewiesen: „Nehmen Sie Ihren Platz ein!“ Protest ist da zwecklos.

Der Sänger ist aus dem Takt – egal

Rise Against spielen sich währenddessen durch viele alte und eher wenige neue Songs. Los geht es pünktlich um 21.45 Uhr, nachdem zuvor The Great Collapse und die schwedischen Hardcore-Legenden Refused dem Publikum eingeheizt haben. Vor allem geht es, musikalisch, an diesem Abend steil nach vorn. Es entsteht eine Energie, die einen unmöglich nicht erfassen kann. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Ton unterirdisch abgemischt ist – und McIlrath aus dem Takt ist, offenbar weil sein Monitor verzögert ist. Macht nichts, das ist halt auch Punk, und das Publikum grölt den Text eh mit.

Gegen Ende wird es dann noch einmal, ja, fast romantisch, was nur folgerichtig ist bei all der Liebe, die McIlrath spürt („I can feel it in the air!“). Der Sänger steht allein auf der Bühne – zumindest gedanklich, denn eigentlich ist das sein Solopart. Blöderweise hat er sich aber die Hand gebrochen, weshalb netterweise sein Freund Neil Hennessy mit dabei ist. Zu „Hero of War“entzündet sich im Publikum entzündet ein Lichtermeer aus Feuerzeugen, Tausende singen jede Zeile lauthals mit. Es ist der ergreifendste Moment an diesem Abend beim vielleicht besten Song der Band aus Chicago.

Dann verscheucht McIlrath seine Mitstreiter doch von der Bühne, greift zur Gitarre („I hope my doctor doesn’t watch YouTube“) und spielt noch zwei Songs allein, „People Live Here“ und „Swing Life Away“. Zum Abschluss gibt’s eine Handvoll Songs obendrauf, mit der ganzen Band und in voller Lautstärke. Rise Against zelebrieren den letzten Song, „Savior“, lassen sich noch einmal kräftig feiern und verschwinden dann, um kurz vor halb zwölf, von der Bühne.

Am Ende noch ein bisschen Politik

Schön war’s, Stuttgart, überall so verdammt viel Liebe! Sagt keiner, ist aber die Botschaft des Abends. So viel Pathos nervt, klingt nach einem Sänger, der ein bisschen zu viel Stadionluft geschnuppert hat. Am Ende geht man trotzdem versöhnt nach Hause. Weil, wie könnte es auch anders sein, McIlrath doch noch ein paar Worte zur aktuellen Politik loswird. Er, der sich für Tierrechte engagiert und dem soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt, kann natürlich nicht still bleiben bei allem, was im Moment vor sich geht. „This is an important time in history“, sagt McIlrath, und es kann nur um eines gehen. „There is some crazy shit happening. People that don’t want to leave their homes have to leave their homes. It makes me proud to be here.“

Seinem deutschen Publikum gibt er mit: „Be proud of what you have done. You opened your doors and your hearts.“ Dann stimmt die Band „Prayer of the Refugee“ an, und irgendwie passt am Ende alles.