Führen wirklich alle Wege nach Rom? Der Frage sind Mitarbeiter des Moovel Lab nachgegangen. Das interdisziplinäre Forschungsteam der Daimler-Tochter Moovel arbeitet am Marienplatz an kreativen Mobilitätslösungen für die Zukunft.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-Süd - Der Standort war sicher nicht mit Absicht gewählt. Dennoch ist er für die hippe Daimler-Tochtergesellschaft Moovel nicht ganz ungeschickt. Das findet zumindest der Mitarbeiter Raphael Reimann. „Der Marienplatz ist ja der Ort in Stuttgart, an dem fast jedes Verkehrsmittel genutzt wird“, sagt der 28-Jährige, der in Köln Geografie studiert und im Anschluss in Essen den Master „Urbane Kultur, Gesellschaft und Raum absolviert hat. Autos, Fußgänger, Stadtbahnen, die Zacke, Radfahrer und eine Call-a-bike-Station zählt er auf. Zudem haben die Mitarbeiter von Moovel auch den besten Blick auf den Marienplatz – von oben nämlich. Junge, trendige Unternehmen haben selbstverständlich Büroräume mit einer Dachterrasse, von welcher man über die ganze Stadt blicken kann. Wo, wenn nicht da, kann man möglichst kreativ sein?

 

Im Zukunftslabor geht es um ungewöhnliche Lösungen

Seit Oktober hat das Unternehmen seinen Sitz am Marienplatz. Ein Teil des Teams des Mobilitätsdienstleisters arbeiten in einem interdisziplinär zusammengewürfelten Zukunftslabor, dem „moovel lab“, an „Bewegungsabläufen und Verkehrsströmen im urbanen Raum“. Das klingt trockener als es tatsächlich ist. Im moovel lab geht es nicht darum realistisch oder mathematisch korrekt berechenbare Lösungen zu entwickeln, sondern ein bisschen Rumspinnerei. Zum Beispiel: „Führen tatsächlich alle Wege nach Rom?“ Darüber habe man sich neulich beim Mittagessen unterhalten, erzählt Benedikt Groß.

Der 34-jährige Designer ist Professor an der Hochschule Ravensburg-Weingarten und arbeitet zwei Tage die Woche im moovel lab. Und was kommt nun dabei heraus, wenn Designer, Geografen und Programmierer eine Redewendung aus dem Mittelalter wörtlich nehmen? Im Fall von den moovel lab-Mitarbeitern Raphael Reimann, Philipp Schmitt und Benedikt Groß ein Kartenwerk von Europa, auf welchem alle Wege in Richtung italienische Hauptstadt führen. Zusammen gibt das ein Kartennetz aus dicken und dünnen Verästelungen.

Die Karten sind vor allem hübsch anzuschauen

Die Karten der drei dienen nicht gerade der Orientierung, in erster Linie sind sie hübsch anzuschauen. „Roads to Rome“, wie die Jungs ihr Projekt sinngemäß getauft haben, löse kein Problem, sagt auch Benedikt Groß. Das sehr freie Projekt zeigt aber, wie im moovel lab gearbeitet wird. „Wir suchen interessante Dinge, die direkt oder indirekt mit Mobilität zu tun haben“, ergänzt Groß. Um ein konkretes Produkt gehe es nie, sondern um kreative Ideen.

Beim bloßen Philosophieren soll es trotzdem nicht bleiben. Im ersten Schritt haben Reimann und Groß von den entlegensten Winkeln Europas über einen Routing-Algorithmus die schnellste Strecke nach Rom berechnet. Eine weitere Spielerei: Über den im Internet frei verfügbaren Kartendienst Open Street Map haben sie überprüft, wie oft die eingezeichneten Straßen genutzt werden. Je mehr Fahrzeuge auf einer Strecke unterwegs sind, desto dicker sind die Linien auf der Karte eingezeichnet. Ein Nerd-Faktor am Rande: Insgesamt berechnet der Algorithmus 312.719 Routen in Europa. Und führen nun wirklich alle Wege nach Rom? „Joa“, sagt Groß dazu vage. Aber die mathematische Beantwortung sei ja gar nicht Ziel des Projekts gewesen.

Wenn die Infrastruktur die Grenzen bestimmen würde

Für Reimann haben die ganzen Daten vor allem „ästhetischen Wert“. „Es ist aber jetzt nicht nur Kunst und das war’s“, betont er dann gleich. Schließlich haben sie ihr Kartenprojekt ja auch noch weiter getrieben. In den USA haben sie zum Beispiel neun Städte namens Rom gefunden. Auch dort haben sie die Entfernungen zum jeweils nächsten Rom berechnet.

Auf einer weiteren bunten Landkarte haben sie alle europäischen Hauptstädte vermessen. Da habe man sich die Frage gestellt, was passieren würde, wenn die Infrastruktur die Grenzen bestimmt. Warum das wichtig sein könnte? „Die Menschen folgen ja immer der Arbeit“, sagt Groß. Die sei natürlich eher in großen Städten zu finden. Die Aufteilung Europas wäre dann eine völlig andere: Südschweden ist besser an Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen angebunden als an Stockholm, Schottland besser an Dublin als an London. Auch wäre Sizilien näher an dem Inselstaat Malta wie an der italienischen Hauptstadt. „Europa wäre quasi neu gegliedert“, sagt Reimann. Im letzten Schritt haben sie für einige Metropolen berechnet wie weit man von einem Punkt in 15 Minuten Luftlinie kommt. „Daraus lässt sich sehr gut die Topografie einer Stadt erkennen“, so Geograf Reimann.

Wie kommt man am schnellsten von A nach B

Letztlich beschäftigt man sich bei moovel damit, wie man am schnellsten von A nach B kommt. Aber vielleicht fällt den Designern ja irgendwann auch ein besseres Verkehrskonzept für den Marienplatz ein. Daran arbeitet die Stadt Stuttgart schon seit einiger Zeit. Den besten Blick haben sie ja schon auf den Platz.