Der britische Popstar Robbie Williams zeigt bei seiner spektakulären Show im Stuttgarter Fußballstadion, dass er noch immer ein begnadeter Entertainer, aber auch ein glänzender Interpret ist.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Grässlich sei diese Stadt, ganz grauenhaft, und ob er jemals in sie zurückkehre, sei doch sehr zu bezweifeln – so hat Robbie Williams in seinem Tourtagebuch „Somebody someday“ über Stuttgart geurteilt. Das war 2001, der Grund des Missmuts war ein derangierter Fan, der ihn seinerzeit beim Konzert in der Schleyerhalle bestürmte und von der Bühne stupste. Schön war das natürlich nicht.

 

Aber zwölf Jahre später ist der Zorn verraucht. Der 39-Jährige, der es auf mirakulöse Weise aus den bescheidenen Verhältnissen seiner englischen Geburtsstadt Stoke-on-Trent zum größten Popentertainer der Welt brachte, steht am Sonntagabend unbeschadet auf der Bühne des mit 45.000 Menschen gefüllten ausverkauften Stuttgarter Fußballstadions, lässt sich zu Recht feiern und erweckt den Eindruck, als könne er sich gar keinen schöneren Ort auf Erden vorstellen. Alles vergeben und vergessen.

Die Wirklichkeit sieht vermutlich zwar anders aus, aber das macht nichts, denn der größten Rampensau der Welt nimmt man in diesem Moment die pure Daseinsfreude ab. Somit stört auch nicht, dass die Abfolge der Lieder fast an jedem Abend dieser Tournee gleich und somit sehr erwartbar ist, denn anders ließe sich eine so abgezirkelte Produktion wie bei ihm gewiss nicht stemmen. Folglich verkneift man sich ein Schmunzeln, als Robbie Williams zur Mitte des Konzerts drei Songs akustisch darbietet, sich dazu eine Gitarre umschnallt und diese sehr freundlich unterstützt von seinem Gitarristen im Hintergrund spielt. Daher freut man sich mit der jungen Dame aus dem Publikum, die sich für einen Song mit ihm auf der Bühne in eine Art Bett legen darf und diesen Tag ihr Leben lang gewiss nicht vergessen wird. Und deshalb mag man sogar bei den schlüpfrigen Sprüchen mitfeixen, die er klopft. „Ich habe einen großen Pimmel“, juxt er vom Blatt ablesend zur Pointe einer einstudierten Anekdote genau so ins Publikum, wie er dies vier Tage zuvor auch in München tat.

Alles ist geplant, aber trotzdem süß. Und ja: alles ist albern. Aber herrlich albern.

Wie in München begrüßt Robbie Williams auch in Stuttgart das Publikum mit der Ansage „eure Hintern gehören für die nächsten zwei Stunden mir“. Andersherum würde normalerweise ein Schuh daraus – dass also ein Künstler sagt, das Publikum dürfe über ihn verfügen. Aber der grenzenlose Narziss Robbie Williams, er darf sich mit dieser so selbstverliebten wie selbstbewussten Aura umkränzen. Anderen Künstlern würde man diesen maßlos überdrehten , theatralischen, megalomanischen Personenkult krumm nehmen – nur ihm verblüffenderweise nicht.

Eine leicht egofixierte Show

Abbilder seiner selbst sind der Kernbestandteil der leicht egofixierten Show. Das beginnt mit dem Bühnenbild – einer riesigen, reliefartigen goldenen Nachbildung seines Kopfs, dem Cover seines aktuellen Albums „Take the Crown“ nachempfunden. Aus dieser überdimensionierten Totenmaske kommt der breit grinsende Untote Robbie Williams buchstäblich zu seinem Auftritt eingeschwebt – sozusagen aus der eigenen Schädeldecke hinaus seilt sich Robbie Williams auf einen der beiden weit in das Publikum auskragenden Laufstege ab. Weiter wird es im Verlauf des Auftritts mit einer fahrbaren Pappmascheefigur seines Kopfes gehen, einem begehbaren Robbie-Williams-Antlitz, das wie ein Schiff auf Schienen hinein ins Stadion und wieder hinaus gleitet. Einem Williams-Kopf, der sich öffnet und Luftballons freigibt, die wie entlassene Flausen in den Himmel entschwinden. Und einem Kopf, aus dem Flammen züngeln, als sollte symbolisiert werden, dass hier eine Menge Glut aus dem Schädel entweicht. Als kleine Handpuppen-Kasperlefigur seiner selbst präsentiert Williams sich auch noch, beim visuellen Höhepunkt der Show wird der güldene Riesenkopf zur Projektionsfläche, die nun einen zwanzig Meter großen augenverdrehenden und Grimassen schneidenden Williams-Kopfsalat zeigt. Das kunterbunte Spektakel ist launig, vor allem aber technisch brillant umgesetzt. Und verkopft ganz gewiss nicht.

„Let me entertain you“ stimmen Williams und seine üppig besetzte, bestens aufspielende Band zum Auftakt an, das Lied, mit dem er traditionell seine Konzerte eröffnet. Es dauert keine zehn Minuten, es dauert keine Minute, es dauert nur bis zum ersten Refrain, ehe er das Publikum auf seiner Seite hat. Woran liegt’s? Es sind gewiss nicht nur seine Vergangenheit, sein Aussehen (der Frauenüberschuss im Stadion ist fulminant), die Stimme und die quitschebunte Revue. Es ist eben auch die ihm perfekt auf den Leib geschnittene und ebenso perfekt in das Riesenambiente des Stadions passende Breitwandmusik.

Fünf der elf Songs des aktuellen Albums spielt er. dazu gönnt sich Williams quasi eine Werkretrospektive. Mit Ausnahme von „Supreme“ gibt er all seine fetten Hits, nach „Let me entertain you“ folgen „Sin Sin Sin“, „Come undone“, „Millennium“, „Me and my Monkey“ und „Rock DJ“ sowie zur Zugabe „Feel“ und „Angels“. Dazwischen gibt es weitere gewitzt-geschmackvolle musikalische Einlagen. „Minnie the Moocher“ von Cab Calloway covert er, den Take-That-Song „Everything changes“ spielt er, mit dem er souverän seinen Umgang mit der Boygroupvergangenheit unterstreicht. Zitatenreich gestaltet er das Konzert, Lou Reeds „Walk on the wild Side“ scheint auf,, zu seinem Song „Kids“ ertönt das Gitarrenriff aus der AC/DC-Nummer „Back in black“. Dazu wird Olly Murs als Duettpartner noch einmal auf die Bühne geholt. Ein raffinierter Kniff, denn besser hätte Williams nicht beweisen können, was für eine glänzende Singstimme er hat – der Newcomer Murs, der das Vorprogramm bestreiten durfte, schmiert da ganz schön ab.

Williams trägt zunächst einen paillettenbesetzen Frack, später ein goldenes Jackett – auch das kann sich nicht jeder leisten, ohne dass es peinlich wirken würde. Immer wieder drängen sich bei ihm Vergleiche zu Frank Sinatra auf, dem anderen Jahrhundertcrooner, der ebenfalls über ein so unverwechselbares wie unbeschreibliches Charisma verfügt hat. Williams hat nicht einmal davor zurückgeschreckt, sich vorne an der Bühnenmitte eine Kanzel errichten zu lassen, deren Geländer in Form einer Krone ausgearbeitet ist. Auch das ist eine Arroganz, die man sich leisten können muss. Am Ende dieses lässig-eleganten Abends gibt es, Ehrensache, ein Feuerwerk. Dazu, mitgesungen aus 45 000 Kehlen, die Ballade „Angels“. Die Band zieht sich zurück, Williams steht schließlich mutterseelenallein auf der Riesenbühne. Er singt die letzten Zeilen a capella. Dann geht der König der Entertainer, ausnahmsweise ganz leise. Die Krone hat er sich verdient.