Täter oder Opfer? Geht es nach Rockerchef Lutz Schelhorn, sind nicht er und seine Brüder, sondern Politik und Behörden die Bösen. In einem Buch rechnet er mit Meinungsmachern und dem Beamtenapparat ab.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)
Herr Schelhorn, laut Polizeigewerkschaften muss man sich vor Ihresgleichen fürchten. War es leichtsinnig, herzukommen?
Unsinn! Weder für Sie als Journalist, noch wäre es das für irgendjemand anders. Selbst, wenn jemand den größten Mist über uns verzapft hat, wurde noch keinem Journalisten von einem Hells Angel gedroht oder ihm gar etwas angetan. Komischerweise reden trotzdem nicht viele mit uns und geben ungeprüft die Behördenmeinung wieder.
Wie erklären Sie sich diese Berührungsängste?
Es hat sich von Rockern ein Bild in den Köpfen der Öffentlichkeit verfestigt, das vorne und hinten so nicht stimmt. Es ist eine regelrechte Jagd auf die Rocker, die da veranstaltet wird.
So lautet auch der Titel ihres Buches, das sie gemeinsam mit den Journalisten Ulrike Heitmüller und Kuno Kruse geschrieben haben. Wieso die zwei?
Das sind keine Journalisten aus der Biker-Presse. Kruse ist Mitgründer der „taz“, Heitmüller Stipendiantin des Journalistenbunds „Netzwerks Recherche“. Die sind da sehr unvoreingenommen und mit höchsten journalistischen Standards herangegangen.
Aber was wollen Sie als Rocker mit dem Buch bezwecken?
Ich will für das Ansehen der Subkultur kämpfen und zeigen, dass wir instrumentalisiert werden, um Behördenwillkür Tür und Tor zu öffnen. Europol hätte während ihres Aufbaus in den 80ern nie so einfach alle Mittel bewilligt bekommen, wenn sie uns Rocker nicht dämonisiert hätten. Das geben Personen, die am Aufbau der Behörde beteiligt waren, in unserem Buch auch ganz unverblümt zu.
Was hätten Europol, andere Behörden und die Politik davon, eine Subkultur – wie Sie sagen – zu unrecht an den Pranger zu stellen?
Ganz einfach: Die Politiker glauben, dass sie mit ihrer Agenda gegen uns auf Stimmenfang gehen können. Die Polizeigewerkschaften wollen mehr Mittel und Befugnisse für ihren Berufsstand. Und teilweise ist das System mittlerweile ein Selbstläufer. Dem wollen wir etwas entgegensetzen.
Ein berühmter Motorradclub nennt sich Outlaws – zu deutsch, „Gesetzlose“. Das ist doch schon eine Ansage an die Polizei . . .
Auch das ist Unsinn. Mit dem Wort „Outlaw“ werden in den USA, wo der Club herkommt, sicher keine Gesetzesbrecher assoziiert, sondern Freiheitsliebe. Wir respektieren den Rechtsstaat. Und dennoch: So unfrei wie heute waren wir noch nie.
Inwiefern?
Es wird versucht, unsere Bürgerrechte auszuhebeln. Das sogenannte Waffenverbot, dass es uns pauschal verbieten soll, selbst Dinge wie Pfefferspray mitzuführen, ist nur ein Beispiel. Wohlgemerkt, hier geht es nicht um Schusswaffen, sondern erlaubnisfreie Waffen! Als wir am Todestag meines Bruders auf dem Friedhof waren, tauchte die Polizei auf und fragte, was wir hier machten. Was soll man denn bitte auf einem Friedhof machen, außer den Toten zu gedenken? Ich träume von dem Tag, an dem ich einfach mal wieder ohne Polizeieskorte mit einem Kasten Bier an den Baggersee fahren kann.
Wäre das anderswo anders?
In Deutschland jedenfalls nicht. Aber in Italien ist die Situation zum Beispiel besser, oder in den ehemaligen Staaten des Ostblocks. Wobei Behörden auch dort beginnen, massiv gegen Rocker vorzugehen. In Australien ist es am allerschlimmsten mit der Verfolgung.
Also ist es ein internationales Phänomen?
In gewisser Weise schon. Sehen Sie, Europa hinkt den USA in vielerlei Hinsicht ein paar Jahre hinterher. Behörden hier haben gesehen, wie die Polizei in den USA gegen Streetgangs vorgegangen ist. Dort haben sie sich die Methoden abgeguckt, unliebsame Gruppen zu zerschlagen. Dabei haben sie aber ein wesentliches Detail vergessen: Rocker sind keine kriminellen Streetgangs, sondern – wie schon gesagt – eine Subkultur.
Sie selbst üben aber auch Kritik an der Szene.
Richtig. Wir – und damit meine ich nicht nur die Hells Angels, sondern alle großen Rockerclubs – haben in der Vergangenheit Fehler gemacht und einige Charter – so nennt man bei uns die Ortsgruppen – haben sich Leute in die eigenen Reihen geholt, die nicht in die Subkultur passen. Die mit dem Motorradfahren nichts zu tun haben. Die denken, man könnte mit einer Rockerkutte illegal viel Geld verdienen. Was völliger Blödsinn ist, so, wie wir überwacht werden.
Und jetzt, da das Kind offenbar in den Brunnen gefallen ist?
Viele der Männer, die bei uns nichts zu suchen haben, gehen von selbst wieder. Weil sie eben merken, dass es uns um Brüderlichkeit und gemeinsame Freizeitaktivitäten geht, und eben nicht ums Drogendealen oder sonst was. Wer bei den Hells Angels beim Dealen erwischt wird, fliegt übrigens ohne Umschweife raus.
„Bad Boy“ Ulrich Detrois, ehemaliger Vizepräsident der Hells Angels in Kassel, sagt in seinen Büchern, dass der Ausstieg aus der Rockerszene überhaupt nicht so leicht sei.
Der Uli behauptet, um sein Leben fürchten zu müssen, dabei läuft der Bursche ganz unbehelligt durch Kassel. Auch wenn uns seine Lügen ärgern, braucht er keine Angst haben, dass wir ihm was tun, und das weiß er auch. Er will sich mit seinen Büchern nur wichtig machen. Und der größte Witz ist: Das Landeskriminalamt empfiehlt Journalisten die Lektüre seiner Werke, in denen sich nur krude Behauptungen wiederfinden, die durch nichts untermauert werden. Ohne Belege, ohne Fußnoten.
Fehlende Quellenangaben bemängeln auch Kritiker des Internets. Sehen Sie das Netz eigentlich als Chance oder als Gefahr, weiter gegen Rocker Stimmung zu machen?
Es ist sicher ein zweischneidiges Schwert. Aber ich nutze es auch, um über die Rockerszene aufzuklären. Angefangen hat das vor zwei Jahren. Da fand ich auf Facebook ein Profil, angeblich von Lutz Schelhorn. Die Person dahinter tat so, als würde sie meine Meinung vertreten. Also habe ich das Fake-Profil löschen lassen und ein eigenes gemacht – was sollte ich auch tun, wenn in meinem Namen so ein Unfug betrieben wird? Doch genau da befindet sich der Quell des Übels: Es ist so leicht, irgendeinen Mist zu verbreiten, der geglaubt wird. Aber man kann sich dagegen wehren. Zum Beispiel, indem man in Büchern die Wahrheit erzählt.