Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Diese in sich geschlossene Rockerwelt aus den Jahren der amerikanischen Besatzung gibt es nicht mehr. Nirgendwo heftiger als in Ulm zeigt sich der Zusammenprall der Generationen und Nationalitäten, zu dem es in vielen Städten Baden-Württembergs gekommen ist. Neue Gruppen sind auf dem Plan, sie tragen zwar Kutten, doch das Motorradfahren ist ihnen egal. Die Rock Machine gehört dazu, die Gruppe Black Jackets, auch die inzwischen verbotene Gang Red Legion. Es handle sich um „inhomogene, schwer führbare Gruppen mit hohem Migrantenanteil“, sagt Sigurd Jäger, der Leiter der Inspektion Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt. „Die fordern die Etablierten heraus.“

 

Landgericht Memmingen, Saal 132. Vor der Großen Strafkammer wird ein Mord verhandelt, aber zu sehen ist ein Theaterstück mit dem Titel: „Ihr könnt uns gar nichts“. Die Hauptdarsteller sind der serbischstämmige Asmon G., Bestrim B. und sein Bruder Blerim. In jeder Pause flachsen die Brüder, winken, naschen Zuckerwerk, während ein Dutzend Beamter mit schusssicheren Westen den Saal bewacht. Immer wenn das Gericht mit der Sitzung fortfährt, verfallen die Angeklagten in Schweigen.

Früher sind sie zusammen in schwarzen T-Shirts durch Neu-Ulm gestreift, darauf hatten sie „Liberta Neu-Ulm“ drucken lassen. Anfang 2011 schlossen sie sich Suat E. an, wurden Rockmaschinisten, aber ihren Präsidenten haben sie bald für einen Weichling gehalten. Als dieser Anfang 2012 in den Knast kommt, ist die Zeit zur Machtübernahme gekommen. Die Brüder B. taufen den Club um in Rock Machine Dardania, das Wort für ein historisches Gebiet, zu dem der Kosovo und Teile Serbiens gehören. Dann überschlagen sich die Ereignisse.

Mit Buttersäure die Gäste vergrault

Anfang März 2012 geht die Neu-Ulmer Kneipe Nachtschicht in Flammen auf, der Treffpunkt der Bandidos. Nur zwei Wochen später brennt das Big Ball, das Stammlokal der Rock Machine. Die Brüder B., so erfährt die Polizei, beginnen gewaltsam die Türen von Clubs und Bordellen zu übernehmen. Wer den Einlass kontrolliert, beherrscht den Drogenhandel im Inneren und kassiert vom Freierlohn mit. Vor allem hat es die Gang auf den Ulmer Club Myers abgesehen. Der Besitzer Murat C. hat noch ein Bordell in Neu-Ulm, sein Clan scheint schwach genug zu sein für eine feindliche Übernahme. Dreimal wird Buttersäure im Myers ausgekippt. Die Gäste flüchten panikartig vor dem unerträglichen Gestank. Die Ulmer Ermittler sind überzeugt, dass die Brüder B. dahintersteckten, dass sie die Säure von Mädchen in den Club schaffen ließen. Auch Murat C. hat keine Zweifel, wer ihn da angreift.

Suat E. betritt als Zeuge den Schwurgerichtssaal. Er könne sich kaum noch an diese Nacht erinnern. „Man ärgert sich halt gegenseitig“, sagt er einmal. „Wenn’s Probleme gibt, regeln wir das selber.“ Erst im März ist er aus dem Gefängnis gekommen. Ein Jahr hat er wegen einer Betrugssache verbüßen müssen. Seitdem hat er bei der Rock Machine nichts mehr zu melden.

Früher, so heißt es bei der Ulmer Polizei, war die Rockerwelt zwar nicht in Ordnung, aber beherrschbar. Es gab die Broncos und zwei Clubs von Ghost-Ridern, und Anfang der Nullerjahre schlossen sich die einen den Outlaws an und die anderen den Bandidos. Alle Gruppen gaben sich sehr amerikanisch und waren dabei doch ziemlich deutsch. Ab und zu flogen bei Streitigkeiten Knüppel oder Messer, dann ging der Rockerbeauftragte der Ulmer Polizei zu den Präsidenten und sagte: „Hey, das ist nicht eure Stadt, das ist meine Stadt. Wir sind nämlich die Grünen.“

Inhomogene, schwer führbare Gruppen

Diese in sich geschlossene Rockerwelt aus den Jahren der amerikanischen Besatzung gibt es nicht mehr. Nirgendwo heftiger als in Ulm zeigt sich der Zusammenprall der Generationen und Nationalitäten, zu dem es in vielen Städten Baden-Württembergs gekommen ist. Neue Gruppen sind auf dem Plan, sie tragen zwar Kutten, doch das Motorradfahren ist ihnen egal. Die Rock Machine gehört dazu, die Gruppe Black Jackets, auch die inzwischen verbotene Gang Red Legion. Es handle sich um „inhomogene, schwer führbare Gruppen mit hohem Migrantenanteil“, sagt Sigurd Jäger, der Leiter der Inspektion Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt. „Die fordern die Etablierten heraus.“

Landgericht Memmingen, Saal 132. Vor der Großen Strafkammer wird ein Mord verhandelt, aber zu sehen ist ein Theaterstück mit dem Titel: „Ihr könnt uns gar nichts“. Die Hauptdarsteller sind der serbischstämmige Asmon G., Bestrim B. und sein Bruder Blerim. In jeder Pause flachsen die Brüder, winken, naschen Zuckerwerk, während ein Dutzend Beamter mit schusssicheren Westen den Saal bewacht. Immer wenn das Gericht mit der Sitzung fortfährt, verfallen die Angeklagten in Schweigen.

Früher sind sie zusammen in schwarzen T-Shirts durch Neu-Ulm gestreift, darauf hatten sie „Liberta Neu-Ulm“ drucken lassen. Anfang 2011 schlossen sie sich Suat E. an, wurden Rockmaschinisten, aber ihren Präsidenten haben sie bald für einen Weichling gehalten. Als dieser Anfang 2012 in den Knast kommt, ist die Zeit zur Machtübernahme gekommen. Die Brüder B. taufen den Club um in Rock Machine Dardania, das Wort für ein historisches Gebiet, zu dem der Kosovo und Teile Serbiens gehören. Dann überschlagen sich die Ereignisse.

Mit Buttersäure die Gäste vergrault

Anfang März 2012 geht die Neu-Ulmer Kneipe Nachtschicht in Flammen auf, der Treffpunkt der Bandidos. Nur zwei Wochen später brennt das Big Ball, das Stammlokal der Rock Machine. Die Brüder B., so erfährt die Polizei, beginnen gewaltsam die Türen von Clubs und Bordellen zu übernehmen. Wer den Einlass kontrolliert, beherrscht den Drogenhandel im Inneren und kassiert vom Freierlohn mit. Vor allem hat es die Gang auf den Ulmer Club Myers abgesehen. Der Besitzer Murat C. hat noch ein Bordell in Neu-Ulm, sein Clan scheint schwach genug zu sein für eine feindliche Übernahme. Dreimal wird Buttersäure im Myers ausgekippt. Die Gäste flüchten panikartig vor dem unerträglichen Gestank. Die Ulmer Ermittler sind überzeugt, dass die Brüder B. dahintersteckten, dass sie die Säure von Mädchen in den Club schaffen ließen. Auch Murat C. hat keine Zweifel, wer ihn da angreift.

Am 16 . Dezember 2012 geht eine anonyme Bombendrohung gegen das Bordell von C. in Neu-Ulm ein. Da wird es ihm zu bunt. Er trommelt ein paar Leute zusammen und fordert die Rock-Machine-Leute heraus. Sie treffen sich vor einem rappelvollen türkischen Vereinslokal in der Neu-Ulmer Industriestraße. Hundert Gäste haben das Spiel von Galatasaray gegen Besiktas im Fernsehen verfolgt. Draußen kommt es zum Streit, Schüsse fallen, auf Seiten des Clans von Murat C. bricht der Sicherheitsunternehmer Eduard W. von drei Kugeln getroffen zusammen. Eine Notoperation kommt zu spät. Der 41-jährige Alexander S. überlebt – mit durchschossener Lunge.

Vor dem Memminger Gericht will niemand mehr etwas Genaues gesehen haben. Alexander S. verweigert die Aussage, weil die Staatsanwaltschaft neuerdings auch gegen ihn wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Körperverletzung ermittelt. Offenbar war er mit Schlagringen zu Werk gegangen, bevor die Schüsse fielen.

Hells Angel als Schutztruppe

An die größten Bordellbetriebe in der Donaudoppelstadt traut sich niemand heran. Das Pure Platinum in der Blaubeurer Straße gehört dazu, auch das daran anschließende Laufhaus Eros Center oder der FKK Safari Club in Neu-Ulm. Der Inhaber ist Prinz Marcus, wie er sich gerne nennen lässt. Der gebürtige Pforzheimer hieß vor seiner Adoption durch den Adligen Frédéric Prinz von Anhalt ganz profan Marcus Eberhardt. Wer eine Bordellwohnung in Ulm eröffnen will, muss sich vorher das Okay von Eberhardt holen, weiß man bei der Polizei. Seine Schutztruppe gilt als mächtig und höchst aggressiv. Gegen Pauschalüberweisung lasse der Adelige all seine Etablissements in ganz Süddeutschland von den Hells Angels schützen. Darüber hinaus, sagt ein Ermittler, hielten sich die Hells Angels komplett aus Ulm heraus: kein Kuttenaufzug, kein „Cityrun“ mit dröhnenden Motorrädern. Offenbar erlaubte Eberhardt, dass am 1. Oktober 2011 vis-à-vis seines Pure Platinum in der Blaubeurer Straße das Bordell Lustpark eröffnete.

Landgericht Ulm, Schwurgerichtssaal. Wieder tagt die Zweite Schwurgerichtskammer. Es geht um die Black Jackets. Auf einer Leinwand wird ein Video abgespielt. Es zeigt einen wild schreienden Mann, der wie von Sinnen mit Peitsche und Kabel auf den Rücken eines Gefesselten einschlägt. „Ich habe dir Brot gegeben, du warst wie ein Sohn für mich“, klingt es in rasender Wut, während der Gequälte, ein diebischer Novize der Rockergruppe, wimmert. Das Video bricht nach 30 Minuten ab. Der Folterer, nun im schwarzen Anzug, schaut von der Anklagebank aus zu. Es ist der aus Aalen stammende Mehmet A., der Präsident der Black Jackets Schwäbisch Gmünd und Besitzer des Lustparks. Als ihn der Oberstaatsanwalt fragt, wie es denn so zugegangen sei in der Gruppe, sagt A.: „Ich bin schon gestraft genug. Lassen Sie mich damit in Ruhe.“ Das Gericht verhängt eine Haftstrafe von viereinhalb Jahren.

Abtrünnige Mitglieder werden gefoltert

Dumm für den Rockerboss, dass er den Beweis für seine Schuld selber aufgezeichnet und – wohl als Mittel interner Abschreckung – auf dem Rechner gespeichert hat. Das Material zeigt, was mit abtrünnigen Mitgliedern geschieht. Selbstjustiz sei ein Merkmal aller Rockergruppen, egal welchen Alters oder welcher Herkunft, sagt Jäger vom Landeskriminalamt. „Sie stellen ihren Code über das Gesetz.“ Wer in Konflikt mit der Justiz komme, für den gelte außerdem: „Keine Kooperation, keine Aussagen.“

Das Foltervideo gehört zur Ausbeute einer Bordelldurchsuchung im März. Auch eine Pistole, ein Elektroschocker, Baseballschläger, Messer, Äxte und Macheten findet die Polizei im Lustpark. Das Arsenal, glauben Ermittler, wurde für eine geplante Schlacht mit der Red Legion angelegt.

Am Morgen des 23. Februar alarmieren Autofahrer die Polizei. In der Blaubeurer Straße haben sich 30 Männer versammelt, die sich in feindlichen Gruppen gegenüber stehen. Auf die Mitglieder der Red Legion wird geschossen. Als die Sonne aufgeht, liegen auf der Bundesstraße 28 leere Patronenhülsen und fortgeworfene Messer.

Ursprung all dessen, glaubt die Polizei, ist eine Bluttat vom Dezember 2012 in Esslingen. Mitglieder der Red Legion hatten einige Black Jackets überfallen, ein 21-Jähriger war getötet worden. Im Januar sollen Black Jackets im Gegenzug einen Mann der Red Legion in Stuttgart niedergestochen und schwer verletzt haben. Attila M. soll damals in Stuttgart dabei gewesen sein.

100 Männer reisen zur Entscheidungsschlacht

In Ulm verhindert am zweiten Märzwochenende ein Großaufgebot der Polizei eine Entscheidungsschlacht der verfeindeten Rockergruppen vor dem Lustpark. Mehr als 100 Männer, angereist aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, werden nachts kontrolliert und entwaffnet.

Baden-Württemberg und Bayern haben mittlerweile eine gemeinsame Ermittlungsgruppe gegründet. Sie arbeitet in den Räumen der Polizeiinspektion Neu-Ulm. Bayerische Behörden halten Ulm für eine Rockerhochburg. Das Wort „Rockerkrieg“ hört man beim LKA in Stuttgart nicht gern. Es handle sich eher um eine „extrem angespannte Situation“.

Überall wird nun mit Spannung beobachtet, wie die Gerichtsverfahren enden. Der Memminger Mordprozess gegen die Brüder B. soll noch im Dezember entschieden werden. Die Ulmer Verhandlung gegen das Bandido-Mitglied Mahir H. ist bis Januar terminiert. Im Januar beginnt zugleich vor dem Landgericht Ulm der Prozess gegen ein Mitglied der Black Jackets. Der Mann soll vor dem Lustpark auf die Gruppe Red Legion gefeuert haben. Die Anklage lautet auf versuchten Mord.

Attila M. ist nach dem Messerattentat auf einen Mann der Red Legion im Januar in Stuttgart kürzlich vom Landgericht Stuttgart freigesprochen worden. Die Beweise, sagte ein Gerichtssprecher, seien einfach zu dünn gewesen.