Der US-Sänger Rocky Votolato hat am Freitagabend im Stuttgarter Club Universum eine neue Seite von sich gezeigt: den Hang zu breiten Rockgesten. Die alten, ruhigen Lieder wirken da wie ungeliebte Stiefkinder. Nur etwas nervt an dem Abend.

Stuttgart - Erinnert sich noch jemand an die Wohlstandskinder? Diesen ewigen Geheimtipp, mehr Pop als Punk? Die Wohlstandskinder jedenfalls hatten mal einen Song, der hieß „Lautstärke, Baby“. Darin geht es um eine Alien-Lady, „die plante eine Invasion, in Form von 1000 Megaphon“. Was das mit Rocky Votolato zu tun hat? Nun ja, zum einen hat er am Freitagabend bei seinem Konzert im Stuttgarter Club Universum einen Song über Aliens gespielt. Viel wichtiger aber: Der US-Sänger setzt plötzlich auf große Rockgesten, die auf voller Lautstärke am besten funktionieren.

 

Aber von vorn. Wer um kurz nach neun das Universum betrat, dem bot sich erst mal ein ungewohntes Bild. Der größte Teil der Zuschauer saß auf dem Boden. Ein Sitzkonzert? Ist das nicht eher was für von Arthrose geplagte Leute ab 60? Der Rest des Publikums hatte sich an der Bar versammelt und plauderte angeregt. Auf der Bühne: der zweite Act des Abends, Brett Newski.

Vorher hatte schon der deutsche Singer-Songwriter Perry O’Parson das Mikro ergriffen; von ihm sollte später aber noch mehr zu sehen sein. Brett Newski also: so ganz ernst nehmen konnte man das nicht. Hall und andere komische Effekte auf dem Gesang waren überflüssig, die Songs harmlos ohne Ecken und Kanten. Dass Newski freiwillig erzählt, er sei dankbar, wenn ihm jemand Platten abkauft, damit er nicht mehr bei McDonald’s arbeiten muss, passt irgendwie ins Bild. Die Zuschauer indes hat all das nicht gestört, sie feierten Newski vor allem dann, als er einen Song aus dem Stegreif über Stuttgart spielte, über Champagnerfabriken und Hockey.  

Leise Lieder? Das war einmal

Wer also um kurz nach neun im Universum war, konnte es leicht mit der Angst zu tun bekommen vor dem, was der Hauptact bringen würde. Doch wer Rocky Votolato kennt, weiß aber, dass man sich keine Sorgen machen muss. Es sollte dann auch ein ziemlich großartiges Konzert werden. Als er aber, zum ersten Mal in Deutschland mit Band-Unterstützung (hier kam auch Perry O’Parson wieder zum Zug: als Gitarrist) die Bühne betritt, läuft noch die Pausenmusik und es interessiert auch keinen so richtig. Erst nachdem der Amerikaner mit seinem Set angefangen hat, bequemt sich das Publikum, aufzustehen. Etwas scheu bleibt dennoch ein weiter Kreis zwischen Sänger und Zuschauern frei, den man sonst eher von schlecht besuchten Jugendzentrum-Gigs kennt.

Es dauert trotzdem nicht mal einen Song, bis die Stuttgarter hin und weg sind von Rocky Votolato. Das ist vielleicht nicht trotz, sondern wegen des neuen Sounds des Sängers aus Seattle. Eigentlich kennt man Votolato als Singer-Songwriter, der auf ruhige Melodien und viel Gefühl setzt. Nun sagt Rocky in Interviews selbst, nach seiner Platte „Television of Saints“, die 2012 erschienen ist, habe er eine ziemlich schwierige Zeit durchgemacht. Er habe sich ausgebrannt gefühlt und wie es aussieht, hätte er um ein Haar alles hingeschmissen.

Mit dem neuen Album „Hospital Handshakes“ kommt nun so etwas wie eine Neuerfindung: nicht nur, weil Votolato überhaupt weitergemacht hat, sondern auch musikalisch. Es geht plötzlich um etwas, das am besten als Rock beschrieben werden kann. Breite Arrangements, die nun auch konsequent im Bandensemble live gespielt werden, Melodien, die zu unkontrollierbaren Zuckungen der Gliedmaßen verleiten.

Live besser als auf CD

Auf den ersten Eindruck könnte man meinen, Votolato hätte damit so etwas wie seine Kernkompetenz hergegeben. Auf CD zumindest braucht man ein wenig Zeit, um mit den neuen Liedern warm zu werden. Live aber funktioniert das ausgezeichnet.

Wenn es richtig laut wird, wenn Votolatos Beine nicht mehr stillstehen können, dann wird es richtig gut. Die Songs, die er ohne die Unterstützung an Schlagzeug, Bass und Gitarre spielt, gehen daneben etwas unter. Ohnehin sind die allermeisten Songs, die er spielt, neu. Es macht den Eindruck, als seien die alten Lieder so etwas wie die ungeliebten Stiefkinder, um die man sich halt ab und an auch noch kümmern muss.

Am Ende verabschieden sich Rocky Votolato und seine Band viel zu früh, drei Zugaben gibt es aber noch obendrauf. Eigentlich wollte er nur zwei spielen, weil er dachte, für mehr sei keine Zeit. Als ihm dafür aber ein trauriges „Oooh“ von allen Seiten entgegenschlägt, gibt es eben noch einen mehr. Der einzige Wermutstropfen an diesem Abend: das immerwährende Quatschen aus dem Zuschauerraum, das auch Rocky Votolato nicht ersticken konnte.


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