Daniel Wittinger istin Rohr aufgewachsen. Seit 20 Jahren ist er Chef des dortigen Jugendclubs.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart-Vaihingen - Gelegentlich schaut er sich die Welt an. Indien, China oder Malaysia hat Daniel Wittinger mit dem Rucksack bereist. Wo er ursprünglich herkommt, lässt sich dennoch aber auf den ersten Blick erkennen: Daniel Wittinger trägt einen braunen Kapuzenpulli des Rohrer Seefests, dem ältesten Open-Air-Festival in Stuttgart. Der Stuttgarter Stadtteil ist Wittingers Heimat. Dort ist der 40-Jährige aufgewachsen, dort hat er Abitur gemacht, dort hat er während des Studiums der Politik und Empirischen Kulturwissenschaft größtenteils gewohnt. Er fühlt sich als Rohrer und nicht als Stuttgarter. „Heimat heißt für mich, sich irgendwo sauwohl zu fühlen“, erklärt er. Und das tut er in Rohr – und allenfalls noch in Vaihingen, wo er seit einiger Zeit wohnt.

 

Zu Rohr fühlt er jedoch eine sehr tiefe, persönliche Verbundenheit. „Und zwar ohne Wenn und Aber“, sagt er. Deshalb habe er auch seine Magisterarbeit über den Stadtteil geschrieben. Das Thema: die Jugendlichen dort und wie sie ihre Heimat sehen und sich mit ihr verbunden fühlen. Damit kennt er sich auch selbst aus. Denn auch heute mit 40 Jahren engagiert er sich für den Rohrer Jugendclub und das Rohrer Seefest. Seit 1993 ist er Vorsitzender des dahinterstehenden Vereins. Seine Position vergleicht er mit der des Bundespräsidenten: „Ich bin in das aktive Geschehen kaum mehr involviert“, erklärt er. Das tägliche Geschäft des Rohrer Seefests teilen sich Martin Javitz, Arno Schauer, Martin Gerlich und Tobias Ruoff. „Das ist quasi die Bundesregierung“, ergänzt er.

„Konflikte tragen wir basisdemokratisch aus“

In Wirklichkeit ist Daniel Wittinger so etwas wie der Papa des Rohrer Jugendclubs. In dieser Rolle agiert er aber trotzdem sehr antiautoritär. „Die Jugendlichen können hier völlig selbstständig walten“, betont er. „Auch Konflikte tragen wir basisdemokratisch aus“, ergänzt Wittinger, der freiberuflich als Fachberater für die Kinder- und Jugendhilfe tätig ist, während er nebenbei noch an seiner Doktorarbeit schreibt. Sein Engagement entstand, weil sein Elternhaus nur 600 Meter vom Club entfernt liegt. „Ich habe Leute kennengelernt, Partys dort gefeiert, und schwups war ich drin“, erzählt er heute. Angefangen hat er mit Diensten an der Bar, später übernahm er den Vorsitz des Vereins. Heute verbringt er weniger Freizeit im Jugendclub. „Aber ich halte noch immer meine schützende Hand darüber“, sagt er.

Der Rohrer Jugendclub ist der einzige in Stuttgart, der selbst verwaltet ist und keinem Träger angehört. Doch nicht nur das, er ist auch einer der ältesten der Stadt. Seine Geschichte beginnt im Jahr 1966. Zunächst war er Teil der evangelischen Jugendarbeit, doch aufgrund von Interessenkonflikten mit der Kirche trennte sich der Club 1972 von jener. Seither findet die Jugendarbeit in Selbstverwaltung statt und wird vom Verein zur Förderung des Jugendclubs Rohr finanziell unterstützt und rechtlich vertreten. „Der Rohrer Club hat etwas Besonderes für Jugendliche geschaffen“, ist Wittingers Meinung. Die Jugendlichen hielten die Verbindung zu ihrem Club, auch wenn sie längst nicht mehr in Stuttgart wohnen, weiß er.

Eine feste Tradition im Stadtteil

Einmal im Jahr veranstaltet der Club das Rohrer Seefest. „Viele kommen sogar aus Hamburg nach Hause für dieses Wochenende“, erzählt der Vereinsvorsitzende. Zum 39. Mal findet es diesen Juni statt. Einst als Alternative zu den typischen Blasmusikfesten mit härterer Musik gedacht, sei es heute vor allem sonntags ein Familienfest. „Inzwischen gehen viele Kinder hin, deren Eltern auch dort sind.“

Das Seefest sei aus der anfänglichen finanziellen Not des Jugendclubs nach der Loslösung von der evangelischen Kirche entstanden. Damals war es eine wichtige Einnahmequelle. Nachdem sich die Wogen geglättet und der Jugendclub mit festem Domizil in die Kellerräume der Alten Rohrer Schule eingezogen war, entschlossen sich die Macher, den Gewinn des Seefestes für einen gemeinnützigen Zweck zu spenden. „Diese Tradition führen wir bis heute fort“, sagt Wittinger. Und nicht nur diese, denn das Seefest im Rohrer Park ist an sich eine feste Tradition im Stadtteil geworden. Es schaffe eine enge Verbundenheit. „Dafür braucht man solche Feste“, meint er. Aus seiner Sicht schafft dies eben jenes besondere Heimatgefühl. Auch andere Rohrer empfinden dieses Gefühl, sagt er. Durch den Club und das Seefest seien tiefe Freundschaften entstanden. „Mit vielen bin ich schon seit mehr als 15 Jahren befreundet“, erzählt der Vorsitzende. Das verändere etwas in einem Stadtteil. „Wir haben ein gesundes, soziales Netzwerk“, findet der 40-Jährige.

Langsam überlegt er, sich aus der Arbeit für den Club und das Fest zurückzuziehen. „Irgendwann hat ja alles ein Ende“, meint er. Doch an sich sei sein Aufgabengebiet ja groß. Ein bisschen über die Jugendarbeit reden, Club und Seefest nach außen darstellen. „Das ist mein Job“, bekräftigt er. In dem kenne er sich auch gut aus. So richtig überzeugend klingt ein potenzieller Rückzug deshalb irgendwie nicht. Und einer muss ja auch ohnehin die schützende Hand über den Club halten.