Algen sind ein begehrter Rohstoff. Ihre Aufzucht ist allerdings nicht ganz einfach. Das Unternehmen Mint Engineering setzt auf Photobioreaktoren. Einer von ihnen hängt in Berlin an einer Hauswand.

Berlin - Algen gelten als „Rohstoff der Zukunft“: Sie wachsen viel schneller als Nutzpflanzen an Land, zudem enthalten sie sehr viele Proteine und einige andere Substanzen, die in verschiedenen Branchen, von der Pharma-Industrie bis zu Aquakulturen für die Fischzucht, begehrt sind. Leider schwimmen die winzigen, nur aus einer einzigen Zelle bestehenden Mini-Algen relativ dünn verteilt im Wasser. Sie aus natürlichen Gewässern zu holen, rentiert sich daher kaum.

 

In Bioreaktoren klappt die Zucht von Algen schon besser – zumindest solange man ihre Ansprüche im Blick behält: So holen die eukaryotischen Lebewesen genau wie Pflanzen die Energie zum Wachsen aus dem Sonnenlicht. Ein durchsichtiger Block taugt als Bioreaktor daher kaum, weil die Algen an seinen Rändern sehr viel Sonnenlicht verbrauchen und wenig Energie für die Zellen im großen, inneren Bereich übrig bleibt. Aus diesem Grund setzt das auf solche „Photobioreaktoren“ spezialisierte Unternehmen Mint Engineering in Dresden auch auf gerade einmal sechs Zentimeter dicke Rohre, die viel Oberfläche und daher nur eine relativ kleine Zone mit wenig Licht im Inneren haben.

„Damit dort viele Algen wachsen können, haben wir auf dem Euref Berlin-Schöneberg 700 Meter dieser Kunststoff-Rohre verlegt“, erklärt Pit Elstermann, der bei Mint für die Technologie zuständig ist. Diese Konstruktion kann an der Fassade des Hauses 4 – 5 der Torgauer Straße betrachtet werden, wo der Campus, in dem auch die Technische Universität Berlin vertreten ist, zeigen möchte, wie nachhaltig eine Großstadt sein kann. In den Rohren fließt Wasser, in dem Algen der Art Chlorella vulgaris schwimmen, die für die Herstellung von Lebensmitteln zugelassen ist.

In Japan aber werden Algen schon lange verspeist

Auch wenn die Anlage erst einmal zeigen soll, wie die Algenzucht mitten in einer Siedlung funktionieren kann, sollen die winzigen, kaum einen Hundertstel Millimeter dicken Algen nach der Ernte in einem Restaurant verspeist werden. „In Europa mag ein solches Lebensmittel noch ungewohnt klingen, in Ländern wie Japan aber werden Algen schon lange verspeist“, erklärt die Biologin Marcella Langer, die bei Mint für die Forschung und das Qualitätsmanagement zuständig ist.

Zum Wachsen brauchen die Algen vor allem Sonnenlicht als Energiequelle und Kohlendioxid als wichtigsten Baustoff. Aus diesem Grund wird mit Kohlendioxid angereicherte Luft in die Rohre gepumpt, die an einer Wand auf der Sonnenseite eines Hauses installiert sind. „In dieser Demonstrationsanlage setzen wir herkömmlich produziertes Kohlendioxid ein, für spätere Konstruktionen würden wir gerne Kohlendioxid aus Verbrennungsanlagen einleiten“, zeigt Elstermann die weiteren Perspektiven auf. Damit würde das Treibhausgas aus Kohle- und Gaskraftwerken oder aus Blockheizkraftwerken in Gebäuden gar nicht erst in die Luft gelangen und könnte dort auch nicht das Klima beeinflussen.

Die eingepumpte Luft treibt überdies – unterstützt von einer herkömmlichen Wasserpumpe – den Wasserkreislauf an. Bei einer Geschwindigkeit von 60 bis 70 Zentimetern in der Sekunde brauchen die 1200 Liter Lösung 20 bis 30 Minuten für eine Runde durch 700 Meter Leitung. Die Algen haben also viel Zeit zum Tanken von Sonne und zum Wachsen. Gleichzeitig ist das Tempo hoch genug, um die Winzlinge in der Schwebe zu halten und ein Absinken auf den Boden zu verhindern. Mit etwas Dünger wachsen in den Röhren so täglich etwas mehr als 1000 Gramm Algen, die im Sommer in jeder zweiten Woche geerntet werden können.

Für den Klimawandel scheint die Anlage gerüstet zu sein

In einer Zentrifuge werden die Minipflanzen zu einer Algenpaste konzentriert, die dann zu Lebensmitteln verarbeitet werden kann. „Weil bestimmte Algen reichlich Omega-3-Fettsäuren und Proteine produzieren, eignen sie sich auch als Futter für Aquafarmen“, nennt Langer ein weiteres Einsatzgebiet. Algen könnten das Fischmehl oder Fischöl ersetzen, das die Zuchtfische dort bisher fressen. Darüber hinaus könnten verschiedene Rohstoffe aus den Algen gewonnen werden, die zum Beispiel als Bindemittel in Joghurt oder etwa zum Stabilisieren von Zahnpasta oder Margarine eingesetzt werden könnten.

Neben der Chlorella vulgaris züchten die Wissenschaftler auch die Alge Haematococcus pluvialis in den Röhren. Aus ihnen wird ein Farbstoff namens „Astaxanthin“ gewonnen, der zum Beispiel Krabben beim Kochen ihre rote Farbe verleiht, aber von Algen und Tieren auch als Sonnenschutz verwendet wird. Haematococcus pluvialis wächst auch bei niedrigen Temperaturen und kann so in der kalten Jahreszeit eingesetzt werden. „Chlorella vulgaris wollen wir dagegen in der wärmeren Zeit bis Oktober oder November züchten“, sagt Langer. „Diese Algen haben auch Wassertemperaturen von 44 Grad Celsius ausgehalten, die wir bei einer kurzen Hitzeperiode Ende Juni 2016 erreicht haben“, sagt Elstermann. Für den Klimawandel scheint die Anlage also ebenfalls gerüstet zu sein.

Algen könnten etwa zur Herstellung von Biosprit verwendet werden

„Und sie könnte durchaus am Markt erfolgreich sein“, vermutet Andreas Müller, der am Forschungszentrum Jülich mehrere Projekte managt, die etwa die Herstellung von Flugzeug-Kerosin aus Algen bewerten oder untersuchen, welche Arten in solchen Anlagen gut gedeihen. Da im nördlichen Mitteleuropa relativ wenig Sonne scheint, rechnet es sich bisher abgesehen von speziellen Situationen normalerweise noch nicht, Algen zur Produktion von Biosprit zu züchten. „Trotzdem haben Algen auch hierzulande ein großes Potenzial“, ist Müller überzeugt. Und denkt dabei an technische Entwicklungen und die wertvollen Inhaltsstoffe in den Algen oder ihre Verwendung als Nahrungsmittel, die bisher aus seit Jahrhunderten gezüchteten Nutzpflanzen gewonnen werden. Bei Algen fehlt diese lange Erfahrung noch.

„In dieser Situation brauchen wir mutige Unternehmer, die solche Bioreaktoren und ihren Betrieb entwickeln“, sagt Müller. Genau das setzt Mint Engineering zurzeit in Berlin-Schöneberg mit seinen Bioreaktoren an der Hauswand um. Schließlich benötigen die Rohre keine zusätzliche Grundstücksfläche, die in einer Großstadt sehr teuer ist und dadurch die Kosten stark in die Höhe treibt.

Hintergrund: Einsatzfelder

Algen wie die Chlorella vulgaris gelten als vielseitig einsetzbares Naturprodukt. Sie sind in der Nahrungsmittel-, Kosmetik- und Pharmaindustrie gefragt. Zudem lassen sich mit ihrer Hilfe auch Energie, Chemikalien und Kunststoffe gewinnen. Weitere Einsatzfelder könnten folgen, denn erst etwa 44 000 der rund 72 500 Algenarten sind wissenschaftlich beschrieben. Algen sind im Übrigen keine Pflanzen, sondern eukaryotische Lebewesen, die im Wasser Fotosynthese betreiben.