Als „Verschrotter“ des eingerosteten italienischen Politikbetriebs und   der dazugehörigen alten Garden in seiner sozialdemokratischen Partei ist Matteo Renzi angetreten. Gegen seinen Willen musste er Ton und Tempo mäßigen – doch er ist auch weiter gekommen.

Rom - Als „Verschrotter“ des eingerosteten italienischen Politikbetriebs und   der dazugehörigen alten Garden in seiner sozialdemokratischen Partei ist Matteo Renzi angetreten. Das Wort benutzt er als Regierungschef zwar nicht mehr; gegen seinen Willen musste er Ton und Tempo mäßigen. Gleichwohl ist er nun wieder einen entscheidenden Schritt vorangekommen, und das auch noch in der für ihn gefährlichsten Materie: Nach einer harten, von persönlichen Angriffen geprägten Debatte billigte der Vorstand der Partito Democratico die Pläne Renzis zur Reform des Arbeitsrechts. Während der Parteichef   unerwartet viele, nämlich 120 Stimmen erhielt, musste sich der linkskonservative Flügel mit 20 Stimmen (bei elf Enthaltungen) geschlagen geben.

 

Insbesondere die früheren Parteiführer Massimo D’Alema und Pier Luigi Bersani warfen sich gegen Renzi ins Gefecht. Sie hielten ihm vor, er verbreite nur „Slogans“, verspreche Konfuses, Unbezahlbares und habe weder Sachkenntnis, noch biete er wirkliche Reforminhalte. Das Schlimmste aber – so auch der Vorwurf des ultralinken Gewerkschaftsbundes CGIL: Renzi betreibe einen „Thatcherismus“ zu Lasten der Arbeitnehmer. Hauptstreitpunkt war der Artikel 18 des „Statuts der Arbeiter“ von 1970. Ihm zufolge dürfen Beschäftigte allein „aus gerechtem Grund“ entlassen werden.   Arbeitsgerichte haben das seither so extensiv ausgelegt, dass Kündigungen praktisch unmöglich geworden sind.   Während die linken Gewerkschaften das – bei   Strafe eines fortgesetzten Generalstreiks, wie unter einer früheren Regierung Berlusconi – als   unaufgebbaren Besitzstand deklarieren, argumentieren die Gegner: Eine Unkündbarkeit von Arbeitnehmern führe dazu, dass Arbeitgeber lieber keine Stellen schaffen; sie wüssten in Krisenzeiten dann nicht, wie sie die wieder abbauen könnten.

Renzi, dem Gewerkschafter nachsagen, er plane einen „Hire and fire“-Liberalismus nach amerikanischem Muster, will zum einen die „ideologischen Tabus“ aus der Debatte nehmen; zum anderen setzt er bei den Schwächen des Artikels 18 an: Anders als die Aufregung der Linken vermuten lässt, schützt er nämlich nicht alle Arbeitnehmer des Landes, sondern nur 6,5 von 22 Millionen, also ein Drittel. Beschäftigte in Kleinfirmen mit maximal 15 Beschäftigten fallen durch die Maschen – was bei der ohnehin kleinräumigen Struktur der italienischen Wirtschaft auch dazu geführt hat, dass Betriebe bewusst unter dieser Schwelle bleiben, mit allen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit.

Die Gewerkschaften wiederum, traditionell an Massenmobilisierung interessiert, hatten bisher kein Interesse, den Artikel 18 auch auf Kleinbetriebe auszudehnen; damit kultivierte Italien eine Zweiklassengesellschaft von stark geschützten einerseits und   schutzlosen Beschäftigten andererseits, und das hält Renzi den Gewerkschaften heute als Verrat an ihren eigenen Idealen vor. Renzis Regierung will den Artikel 18 nun „überwinden” – bei Wörtern wie „abschaffen“ oder gar „verschrotten“ wäre der Premier schon vor dem Start gescheitert. Der volle Kündigungsschutz für einzelne Arbeitnehmer soll – gestaffelt – erst nach mehrjähriger Probezeit greifen. Im Gegenzug will Renzi mehr Beschäftigte auf neue Weise schützen: Anders als bisher sollen soziale Abfederungsmaßnahmen im Fall von Arbeitsplatzverlust oder Kurzarbeit nicht nur den Beschäftigten der Großindustrie, sondern auch der kleineren Unternehmen zukommen. Ziel sind längerfristig eine allgemeine Arbeitslosenversicherung nach deutschem Modell und eine staatliche Arbeitsvermittlung mit verpflichtender Weiterbildung für Menschen, die ihren Job verloren haben.

Im Parteivorstand wollte Renzi zwar „keine Kompromisse“ machen, ohne diese ging’s aber auch nicht. Renzi musste den Gewerkschaften erstmals Verhandlungen zusichern, ferner musste er dem linken Flügel zugestehen, dass Arbeitsrichter selbst im Falle disziplinarisch motivierter Kündigungen eine Wiedereingliederung in den Betrieb anordnen können – mit der Folge, dass sich nach Auskunft von Juristen an der Praxis des Artikels 18 kaum etwas ändern wird. Der starke Sieg Renzis im Parteivorstand ist für italienische Kommentatoren denn auch ein „vorrangig ideologischer“. Im Parlament, in dessen Senatskammer der Premier nur über sieben Sitze Mehrheit verfügt, sei womöglich noch gar nichts gewonnen. Es sei denn, auch die Abgeordneten Silvio Berlusconis höben zustimmend die Hände. Aber dann zeige sich endgültig, auf welcher Seite der „selbst ernannte Linke“ Renzi in Wahrheit stehe.