Europaweit stoßen die eingewanderten Roma auf Ablehnung und offenen Rassenhass. In Bulgarien und Tschechien eskalieren die Proteste.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Die offen demonstrierte Abneigung gegen Europas ungewolltes Volk kennt keine Grenzen. In Tschechien und Bulgarien ziehen mit Baseball-Knüppel bewaffnete Neonazis und "Patrioten" vor Roma-Vierteln auf. Slowakische Kommunen trennen Roma-Stadtteile mit hohen Mauern von der Nachbarschaft ab. In Ungarn pflegen selbst ernannte Bürger-Garden in SA-Manier gegen die "Roma-Kriminalität" zu Felde zu ziehen. Übergriffe gegen Roma mehren sich nicht nur in Spanien und Italien. Trotz der ihnen garantierten Freizügigkeit als EU-Bürger schiebt Frankreich Roma aus Rumänien als lästige Bettler in ihr Heimatland ab. Auch nach zwölf Jahren als Flüchtlinge sind Roma aus dem Kosovo in Mitteleuropa und Skandinavien nicht vor der Deportation ins Nichts geschützt: Vermehrt schiebt nicht nur Berlin selbst Kinder in die völlig fremde Heimat ab.

 

Roma ist der Oberbegriff für eine Vielzahl von Volksgruppen, die in mehreren Einwanderungsschüben einst vom indischen Subkontinent über Persien und den Kaukasus nach Europa und Nordafrika gelangten. Auf acht bis zehn, gelegentlich selbst bis zu zwölf Millionen Menschen wird die Zahl der Roma in Europa geschätzt. Verlässliche Zahlen liegen nicht vor. Oft werden Bürger ohne Papiere und gesicherten Wohnsitz von den heimischen Statistikern nicht erfasst. Ob aus Angst vor Diskriminierung oder wegen des Wunsches nach Assimilierung: bei Volkszählungen pflegen sich viele Roma häufig eher als Ungarn, Rumänen oder Serben denn als Angehörige ihrer Volksgruppe zu identifizieren.

Die Ursache ist unklar, warum die Roma in den Westen kamen

Mittels linguistischer Vergleichsstudien konnte schon im 18. Jahrhundert der indische Subkontinent als einstige Heimat der Roma identifiziert werden. Das mit dem Sanskrit verwandte Romanes lässt auf eine Herkunft aus Nordwestindien schließen. Über die Ursachen, warum sie ihren Weg nach Westen suchten, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Manche Wissenschaftler vermuten Hungersnöte als Grund für ihren Exodus. Andere glauben, dass sie als Schmiede, Viehhändler und Musiker Karawanen und Armeen begleiteten. Eine weitere These ist, dass sie von muslimischen Eroberern vertrieben wurden.

Persische Quellen aus dem 10. und 11. Jahrhundert berichten, dass Schah Bahram V. im fünften Jahrhundert mehrere Tausend Musiker aus Indien ins Land habe holen lassen. Relikte des Persischen, aber vor allem des Griechischen weist das Romanes bis heute auf. In byzantinischen Dokumenten finden sich seit dem achten Jahrhundert Hinweise auf die Roma, die über Armenien und Griechenland nach Südosteuropa gelangten: Ab dem 14. Jahrhundert wurden die "Zigeuner" in Dokumenten in Serbien, Bulgarien, Walachei und bald danach auch im damals ungarischen Transsylvanien erwähnt. Als "Tataren, Heiden, Egiptenleut und Zigani" tauchen sie Anfang des 15. Jahrhundert erstmals in den Stadtbüchern von Hildesheim, Basel und Meißen auf. Zunächst freundlich aufgenommen und mit Schutzbriefen von Kirchenfürsten begleitet, sollte sich die Neugier bald in Abkehr gegen die dunkelhäutigen Zuwanderer wandeln. Ab dem 16. Jahrhundert mehrten sich europaweit Ausweisungsbeschlüsse, Zwangsarbeit und Kopfgelder auf tote und lebende Roma: Preußen-König Friedrich Wilhelm I. gab 1725 die Erlaubnis, alle "weiblichen und männlichen Zigeuner" über 18 Jahre zu erhängen.

Das Ende des Kalten Krieges hat sie besonders hart getroffen

Der von der Obrigkeit eifrig mit geschürte Rassenhass sollte zwei Jahrhunderte später im Holocaust gipfeln: Auf 250000 bis 500000 Menschen wird die Zahl der Roma und Sinti in Europa geschätzt, die während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrationslagern ermordet wurden. In Mitteleuropa waren die Roma nach Ende des Nationalsozialismus auf eine kleine Minderheit geschrumpft. Im überwiegend sozialistisch regierten Südosteuropa wurde offiziell die Emanzipation der Volksgruppe verkündet. Verstärkte Bildungsanstrengungen ließen in Jugoslawien einige Roma den sozialen Aufstieg schaffen. Dank der staatlich orchestrierten Industrialisierung und der Kollektivierung der Landwirtschaft fanden Roma in den neuen Fabriken und den großen Agrarkombinaten Lohn und Brot.

Doch das Ende des Kalten Kriegs und des realsozialistischen Staatenmodells, die Wirtschaftstransformation und die Kriege im zerfallenden Jugoslawien Anfang der 90er Jahre sollten die Minderheit besonders hart treffen. Der Bankrott unrentabler Staatsunternehmen und Landkombinate sollte vielen Roma das Los der Dauerarbeitslosigkeit bescheren: Ungeschulte Hilfs- und Landarbeiter sind nicht mehr gefragt. Sinkende Staatsinvestitionen in den Bildungssektor gehen in den ex-sozialistischen Staaten mit einer feindlich gesinnten Umwelt und wachsendem Nationalismus einher. Der Grad der Diskriminierung ist von Land zu Land verschieden. Während nationalistische Parlamentsparteien in Ungarn und Bulgarien ungestraft den Rassenhass schüren können, ist die öffentliche Diskriminierung von Roma beispielsweise in Serbien verpönt.

Doch grenzüberschreitend gleich ist die triste soziale Lage der Roma: Deren zunehmende Verelendung bekommen die westeuropäischen Staaten in Form ungewünschter Zuwanderer immer stärker zu spüren. Die Wohlstandsschere zwischen Roma und dem Rest der Bevölkerung klafft in allen Staaten Mittel- und Südosteuropas immer weiter auseinander: Während der Hasspegel gegen Europas ungewolltes Volk weiter steigt, werden Arbeitslosigkeit, Analphabetentum und Armut zunehmend "romanisiert".

Die Roma-Minderheiten in Europa

Deutschland: In Deutschland leben ungefähr 70.000 Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft. Hinzu kommen Arbeitsmigranten und Flüchtlinge, vor allem vom Balkan, deren Zahl auf rund 50.000 geschätzt wird.

Südosteuropa: Die meisten Roma leben in Südost- und Ostmitteleuropa. Es gibt keine genauen Zahlen, da die Roma-Organisationen zu hohen Angaben neigen, um sich mehr politisches Gewicht zu geben. Im Gegenzug veröffentlichen die Staaten niedere Zahlen, um den Einfluss klein zu halten. Schätzungsweise leben 10 Millionen Roma in Europa. Davon zwei Millionen in Rumänien, 800.000 in Bulgarien, 600.000 in Ungarn und je 500.000 in der Slowakei und Serbien.