Vor fünfzig Jahren ging John Crankos „Romeo und Julia“ zum ersten Mal über die Bühne des Stuttgarter Balletts. Vier Tänzer – zwei der ersten Stunden, zwei aus der heutigen Generation – erklären, warum der Klassiker bis heute so beliebt ist.

Stuttgart - Dem Jubilar haben Zeit und Moden nichts anhaben können: John Crankos Ballett „Romeo und Julia“ wirkt heute so frisch und lebendig wie eh und je. Auf den Tag fünfzig Jahre nach der Uraufführung der Stuttgarter Fassung am 2. Dezember 1962 feiert das Stuttgarter Ballett dieses Schlüsselwerk der Kompanie morgen mit einer besonderen Vorstellung. Einige der Stars aus der Cranko-Ära werden am Sonntagabend im Opernhaus auf der Bühne stehen – nicht wie damals in den Hauptrollen, sondern in kleineren Partien. Nicht fehlen dürfen dabei selbstverständlich Marcia Haydée (sie gibt ihr Debüt als Amme) und Ray Barra (als Herzog von Verona), das Romeo-und-Julia-Paar der ersten Stunde. Gelegenheit also, um von den beiden zu erfahren, wie das damals war, als dieses Ballett entstand? Alicia Amatriain und Friedemann Vogel, zwei aus der Tänzergeneration von heute, die in der Jubiläumsvorstellung die Titelrollen tanzen, erklären derweil, wieso der Zauber von Crankos Ballett ungebrochen ist.

 

Die beiden Ersten Solisten des Stuttgarter Balletts haben am Tag des Interviews bereits unter den strengen Augen von Marcia Haydée die zentralen Pas de deux des Stücks geprobt. Zu Barra gewandt sagt die ehemalige Primaballerina: „Erinnerst du dich, wie John stundenlang mit uns geprobt hat, bis es genauso aussah, wie er es wollte, wenn Romeo in der Schlussszene Julias Haarlocke zwischen den Fingern dreht? An solchen Kleinigkeiten hat er ewig gefeilt.“ Offensichtlich können auch die Julias und Romeos der jungen Generation immer wieder neu von denen lernen, die Crankos Stücke von Anfang an miterlebt haben, sogar wenn sie die Partien selbst schon lange tanzen. „Manche Bewegungen und Gesten versteht man wieder besser, wenn Marcia einen daran erinnert“, meint Alicia Amatriain.

„Cranko hat uns viel Freiheit gelassen“

So nuancenreich wie Haydée und Barra zu erzählen wissen, vermittelt sich auch für diejenigen, die die legendäre Gründungsphase des Stuttgarter Balletts nicht miterlebt hat, ein wenig vom speziellen Geist dieser Zeit. „John Cranko hat uns sehr viel Freiheit gelassen, die Rollen mitzuentwickeln“: Das ist Ray Barra besonders wichtig, wenn er auf die Entstehung von „Romeo und Julia“ zurückblickt. Vieles hat der Choreograf auf seine damaligen Tänzer zugeschnitten. So sind die zahlreichen Tours en air, die Romeo, Mercutio und Benvolio in ihrem Pas de trois im ersten Akt zu meistern haben, nur eingebaut worden, weil Ray Barra diese Mehrfachdrehungen in der Luft so perfekt vollführen konnte. Dass Romeo im dritten Akt vom Steg oben in Julias Grabstätte hinunterklettert, hat Barra quasi selbst eingeführt, weil ihm der vorgesehene Weg außen herum zu umständlich erschien. Cranko habe über diese Idee zuerst nur den Kopf geschüttelt, erinnert sich Barra schmunzelnd.