Vor 90 Jahren sind die letzten Züge durch den 1846 erbauten alten Rosenteintunnel gefahren. Seit Jahrzehnten wird das älteste Eisenbahn-Bauwerk Württembergs nicht mehr genutzt. Das will der Verein zur Förderung und Erhaltung historischer Bauten ändern. Eine Begehung im Licht der Taschenlampen.

Stuttgart - Am Ende des Tunnels ist kein Licht. Am Ende steht eine graue Betonwand, die Außenmauer einer unterirdischen Fernwärmestation der EnBW. Hier, knapp 15 Meter unter dem Rosensteinpark, ist es dunkel und still. Nur das Wasser gurgelt. In dicken schwarzen Rohren wird es von der S-21-Baustelle am Hauptbahnhof in Richtung Neckar gepumpt. Das ist die wenig bekannte aktuelle Nutzung des Tunnels, der vor 170 Jahren gebaut wurde und durch den am 27. September 1846 erstmals eine Lokomotive dampfte – er ist das älteste Eisenbahn-Bauwerk Württembergs. Und es soll endlich in einen Zustand versetzt und so genutzt werden, wie es seiner Bedeutung gebührt.

 

Hartwig Beiche, der frühere Tiefbauamtsleiter und Technische Dezernent der Stadt Stuttgart, gehört zu der Gruppe von Lokalhistorikern, Eisenbahnfreunden und Denkmalenthusiasten, die an diesem Abend vor dem Schloss Rosenstein stehen. Die Gruppe geht zum Hang, der hinunter führt ins Neckartal bei der Wilhelma, wo sich die Großbaustellen für den Rosensteintunnel und Stuttgart 21 breit machen. Von unten dröhnt der Autoverkehr, als sich die Gruppe auf halber Höhe durchs Gestrüpp zu einem wüst zugemauerten und an vielen Stellen bemalten Portal durchkämpft.

Verein will Öffentlichkeit informieren

Beiche, der sich intensiv mit Carl Etzel, dem Erbauer des ersten Rosensteintunnels, beschäftigt hat, ist von der Bedeutung des Kulturdenkmals überzeugt. „Das Portal und der Tunnel sind die ältesten noch bestehenden Teile der württembergischen Eisenbahn. Sie sind es wert und würdig, erhalten zu werden“, sagt er. „Auch wenn das keine ganz billige Sache ist.“

Das ist auch das Ziel des Vereins zur Förderung und Erhaltung historischer Bauten, der in diesen Tagen eine Broschüre über den Rosensteintunnel herausbringt. Verfasser ist Rudolf Röder, der vor kurzem das überaus lesenswerte Buch über die beiden württembergischen Eisenbahnpioniere Carl Etzel und Ludwig Klein verfasst hat. „Wir wollen die Behörden und die Politik, aber auch die Bürger auf die historische Bedeutung des Eisenbahntunnels unter dem Schloss Rosenstein hinweisen“, sagt der Vereinsvorsitzende Frank Schweizer und deutet auf das Portal mit der verfallenen Galerie. Ein erster Schritt wäre für ihn, den Eingangsbereich mit dem darüber liegenden Balkon wieder herzustellen und das davor platzierte Betonwiderlager der neuen Fußgängerbrücke auf eine nicht störende Höhe abzutragen. „Von hier aus hätte man einen schönen Blick auf den Neckar und auf Bad Cannstatt“, sagt er.

Durch eine schwere Eisentür geht es in den unbeleuchteten Tunnel. Der Boden ist uneben und lehmig, im Licht der Taschenlampen wird die gemauert Wand sichtbar. „Das ist Naturstein, der Tunnel an sich ist in einem hervorragenden Zustand“, sagt Hartwig Beiche. Bis 1916 fuhren hier Züge, dann wurde mit dem Umzug des Bahnhofs an die Schillerstraße der benachbarte Rosensteintunnel in Betrieb genommen. Danach diente die alte, rund 360 Meter lange Röhre zur Champignonzucht. Einige Einbauten, von denen nur noch Mauerreste übrig sind, stammen vermutlich aus dieser Zeit, sagt Matthias Busch von Pro-Alt Cannstatt, der durch den Tunnel führt.

Wie in einer Tropfsteinhöhle

Im Lichtkegel werden an einigen Stellen Kalkablagerungen sichtbar, die von eindringendem Wasser herrühren – fast wie in einer Tropfsteinhöhle. In der Tunnelwand gibt es immer wieder kleine Unterstände. Hier suchten die Streckengänger Schutz, wenn ein Zug durch den Tunnel dampfte. Im Zweiten Weltkrieg wurde noch ein Teil der Produktion der Firma Mahle hierher verlagert, dafür zog man einen Betonboden ein. Das Bauwerk diente auch als provisorischer Luftschutzstollen – für Mitarbeiter des Postamts am Rosensteinpark, die durch einen früheren Entlüftungsschacht einstiegen, aber auch für Kunstwerke aus dem Schloss Rosenstein. Im Jahr 1965 endete die Pilzzucht. Danach nutzten Obdachlose den Tunnel als Unterschlupf. An einer Stelle hängen noch ein Kittel und verdreckte Klamotten. „Unsere Kleiderkammer“, sagt Busch. Auch Graffiti wird sichtbar.

Nicht nur Frank Schweizer ist gefangen von der faszinierenden Atmosphäre. „Hier könnte man eine Ausstellung über die Geschichte des Eisenbahnbaus machen“, kann er sich vorstellen. Lichtkunstinstallationen und kleine Veranstaltungen wären möglich. Schweizer will darüber mit den Stadträten ins Gespräch kommen. Die geplante Internationale Bauausstellung im Rosensteinviertel müsse auch dafür genutzt werden, „den Umgang mit den unter Denkmalschutz stehenden technischen Eisenbahn-Bauwerken sensibler zu handhaben“, sagt er. Und dazu gehöre in erster Linie der alte Rosensteintunnel.

Die Gruppe ist auf ihrem Weg an der grauen Mauer angelangt, die das Ende der Röhre markiert. Von hier aus ist die Eingangstür, durch die das Tageslicht fällt, nur noch so groß wie eine Briefmarke. Das Licht am Anfang des Tunnels.