Im Osten regiert die Linke in vielen Rathäusern und Kreisen. Nun soll Bodo Ramelow als linker Landeschef ein Testfall für die gesamte Republik werden.

Erfurt - Obgleich Thüringens wohl scheidende Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) nicht weltfremd ist, zog sie nach dem SPD-Votum für Rot-Rot-Grün noch einmal die Schwarze-Peter-Karte: Dramatisch appellierte sie an die SPD-Basis, die per Mitgliederbefragung den Vorschlag der Landesspitze absegnen soll, diese hätte es „in der Hand, der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen und zu verhindern, dass Thüringen sich durch eine von der Linken geführte Regierung ins Abseits manövriert“.

 

Das ist insofern banal, als gerade in Thüringen jene SPD-Basis schon sehr lange eben das praktiziert, wozu man sich nun auf Landesebene durchringt: rot-roter Pragmatismus statt Ausgrenzung als politisches Dogma. Wie in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern stellt die Partei schon seit den 1990er Jahren auch Oberbürgermeister und Landräte. Sie regierte in Berlin und Schwerin mit und einigte sich soeben mit der brandenburgischen SPD auf die Verlängerung des Regierungsbündnisses.

Ostdeutschlandweit haben in 57 Rathäusern Politiker der Linken das Sagen. Allein von den sechs Landratsämtern, in denen sie den Chefsessel besetzen, liegt jedes zweite in Thüringen. Noch nicht gerechnet sind hier jene Kreise und Städte, in denen die SPD nur deshalb das Spitzenpersonal aufbieten darf, weil sie sich zuvor mit der zumeist wählerstärkeren Linken arrangiert hatte. Das markanteste Beispiel ist der SPD-Verhandlungsführer Andreas Bausewein. Seit acht Jahren führt er im Interessenabgleich mit der Linken das Rathaus in Erfurt, was beiden Parteien zum Vorteil gereichte: Zu seiner Wiederwahl 2012 siegte er schon in Runde eins mit stolzen 59,2 Prozent, während die Linke zur jüngsten Landtagswahl im September gleich drei der vier Erfurter Direktmandate holte. Bauseweins erster Wahlsieg 2006 signalisierte auch die Wende im Verhältnis beider Parteien. Denn zur damaligen Kommunalwahl hatten die Landesspitzen von SPD und Linken intern vereinbart, bei den folgenden Stichrunden in den kreisfreien Städten gemeinsam den jeweils besser platzierten Kandidaten zu unterstützen.

Eine Botschaft für den skeptischen Westen

Wenn Bausewein nun zur Begründung künftiger Koalitionsverhandlungen mit Linken und Grünen von einem „Experiment, das es auf Bundesländerebene so noch nicht gab“, spricht, meint er also nur diesen zweiten Teil. Ebenfalls nach außen adressiert, ins nach wie vor skeptische Altbundesgebiet, dürfte ein weiterer Zusatz sein: Der nunmehr designierte Ministerpräsident Bodo Ramelow sei ja als Niedersachse „kein typischer Linker“.

Denn wenn die SPD mit der Linken nicht nur „größere inhaltliche Übereinstimmung“ ausmacht, sondern auch „mehr Stabilität dieser Koalition“ im Vergleich zu Schwarz-Rot erwartet, speist sich das eben aus jenen Basiserfahrungen. Sind doch Politiker der Linken, die es gerade im Osten in hohe Wahlämter schaffen, weder Traumtänzer noch Ideologen – wohl aber oft Frauen: etwa die 38-jährige Katja Wolf, die 2012 die Wahl in Eisenach gewann. Es war die erste Oberbürgermeisterwürde für ihre Partei in einer kreisfreien Stadt. Weil Wolf sachbezogen und nüchtern regiert, ist sie populär, bringt aber zuweilen ihre Parteigänger gegen sich auf. Undogmatisch ist auch Birgit Keller, Landrätin im nordthüringischen Nordhausen und Mitglied im Sondierungsteam der Linken. Selbst politische Gegner attestieren der 55-Jährigen, „frischen Wind“ in die durch lange CDU-Dominanz verstaubte Verwaltung zu bringen. Ihre Entscheidung, Kredite aufnehmen, um Schulen und Straßen sanieren und Turnhallen bauen zu können, begründet sie so: Es gebe „gute und schlechte Schulden – wir machen die guten“.