Noch bis Montag stimmt die SPD-Basis in Thüringen über Rot-Rot-Grün ab. Mahner in der Partei finden allerdings nur noch wenig Gehör.

Erfurt - Driftet die Thüringer SPD auseinander, wenn sie als bundesweites Novum einem Ministerpräsidenten der Linken ins Amt verhilft? Auch wenn diese Frage noch dadurch Brisanz erhält, dass die sich anbahnenden Koalitionsrunden ausgerechnet parallel zu den Erinnerungen an den 25. Jahrestag des Mauerfalls stattfinden – an der Parteibasis scheint das Thema abgehakt. Andernfalls hätten die Delegierten des SPD-Landesparteitages kürzlich in Erfurt ihren Verhandlungsführer Andreas Bausewein nicht mit fast 90 Prozent zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Denn der Erfurter Oberbürgermeister warb zuvor nicht nur für ein Bündnis mit den Linken und Grünen, er regiert so auch schon acht Jahre sein Rathaus.

 

So dürfte auch die momentan laufende Mitgliederbefragung in den SPD-Kreisverbänden mit dem Ergebnis enden, dass Bausewein am 4. November offiziell die Aufnahme von Gesprächen zur Regierungsbildung verkündet. Dass dies die Wahl von Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten einschließt, ist angesichts der klaren Kräfteverhältnisse unstrittig. Da auch inhaltliche Differenzen eher zu vernachlässigen sind, wird man sich auf Seiten von SPD und Grünen eher um Posten und Pfründe streiten sowie bemüht sein, die neue Konstellation als parteipolitischen Erfolg zu verkaufen.

Sogar die Grünen haben ihren Frieden gemacht

Die Grünen machten es ja schon vor, indem sie Ramelow und seiner Riege das Bekenntnis abtrotzten, die DDR sei ein „Unrechtsstaat“ gewesen. Selbst Thüringens prominenteste Grüne Katrin Göring-Eckardt, die Chefin der Bundestagsfraktion und lange Gegnerin von Rot-Rot-Grün, gewinnt der neuen Sachlage nun Positives ab: Im Gegensatz zur seit 1990 in Thüringen regierenden CDU werde man „Erinnerungskultur und Opferausgleich“ im Land wirklich „ernst nehmen“.

Auch in der Thüringer SPD, deren Vorstand die Koalitionsgespräche mit den Linken ohne Gegenstimme empfohlen hatte, reibt man sich derzeit lieber an der Union. Die auf Freund wie Feind überzogen wirkenden Warnung der scheidenden Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, ein Regierungschef der Linken manövriere Thüringen ins bundespolitische Abseits, konterte man mit dem Verweis auf Frühsünden der CDU: Während sich die SPD 1990 einer pauschalen Übernahme früherer SED-Genossen lange verweigerte, habe diese sich gleich zwei DDR-Blockparteien komplett einverleibt. Auch Lieberknecht, ihre Amtsvorgänger Dieter Althaus und Josef Duchac sowie das Gros der bisherigen Thüringer CDU-Minister sei erst dadurch auf seine Posten gelangt.

Rache bei der Wahl zum Ministerpräsidenten?

Und doch ging es in der ersten SPD-Basiskonferenz Ende Oktober, als die Sondierungsgruppe den Mitgliedern Rede und Antwort stand, weiß Gott nicht versöhnlich zu. Durch den Beifall einer deutlichen Mehrheit drangen auch Buhrufe. Mancher ginge lieber in die Opposition, als einen Linken in den Sattel zu heben, hieß es. Fast drohte sogar die Stimmung zu kippen, als in der Aussprache auch erinnert wurde an „Tausende, die unter dem SED-System gelitten“ hätten und Worte wie „Verrat“, „Schande“ und „wiedervereint mit den Kommunisten“ vom Pult drangen. Doch solche Mahner setzen sich an der Basis inzwischen nicht mehr durch – eben weil die DDR bereits ein Vierteljahrhundert Geschichte ist. Und auch jene, die nun fürchten, die auf 12,4 Prozent geschrumpfte Thüringer SPD werde mit Rot-Rot-Grün völlig „vor die Hunde gehen“, bekommen zu hören: Gerade Bausewein zeige mit seinem straffen rot-roten Schulterschluss im Erfurter Rathaus, dass die SPD damit sogar zulegen könne. Allerdings gibt sie hier auch nicht den Juniorpartner der Linken.

Inzwischen ist klar, dass die SPD-Mitgliederbefragung gültig sein wird. Denn das nötige Quorum von wenigstens 20 Prozent der 4311 Mitglieder ist weit überschritten. Sollte jedoch wider Erwarten ein mehrheitliches „Nein“ zu Rot-Rot-Grün herauskommen, hätte die SPD ein ernsthaftes Problem. Denn einen Plan B gibt es nicht, nachdem Bausewein erneute Gespräche mit der CDU bereits ausschloss. Eher dürften jene Sozialdemokraten, die insgeheim die Faust in der Tasche ballen, Rache bei der geheimen Wahl des Ministerpräsidenten üben – und Ramelow zweimal durchfallen lassen. Denn selbst wenn alle drei Fraktionen diszipliniert für ihn votieren, besitzt er nur eine einzige Stimme Vorsprung gegenüber CDU und AfD. Erst in Runde drei zählte dann die einfache Mehrheit. Es bleibt also spannend