Vor einigen Tagen hatte eine Prostituierte aus dem Leonhardsviertel einen Freier angezeigt: Der Mann habe versucht, sie mit einem Kissen zu ersticken. Nun ist aber offenbar alles ganz anders gewesen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Stuttgart - Die Tat schien von Anfang an rätselhaft. Ein Freier zahlt den Dirnenlohn, vollzieht den Akt, dann kommt ihm in den Sinn, dass er die Frau ermorden könnte, die ihm zu Diensten war. Er presst ihr ein Kissen auf den Kopf, bis er glaubt, das Opfer sei erstickt. Tatsächlich ist die Frau nur bewusstlos. Der Täter flieht. Dabei vergisst er, das eben bezahlte Geld mitzunehmen. Diesen Hergang veröffentlichte die Polizei nach der Tatnacht.

 

So hatte ihn eine Prostituierte in der Nacht vom 24. auf den 25. März erzählt, nachdem ein Bordellmitarbeiter sie gegen 23 Uhr reglos auf dem Bett gefunden hatte. Die Polizei sicherte mit einem Großaufgebot den Tatort, ein sogenanntes Laufhaus an der Weberstraße, verhörte Zeugen, gründete eine Ermittlungsgruppe zur Aufklärung des Falles und bat die Bevölkerung um Hinweise auf den unbekannten Täter. Das Opfer wurde in ein Krankenhaus gebracht, aber wenig später wieder entlassen.

Angebliches Opfer verstrickt sich in Widersprüche

Nun scheint der Fall auf unerwartete Weise geklärt. Die Polizei ermittelt inzwischen gegen das Opfer – wegen Vortäuschens einer Straftat. Die 25-jährige Prostituierte hat den Mordversuch offenbar erfunden. Mutmaßlich wollte sie den Verdacht auf einen Ex-Freund lenken, der ihr gemäß Informationen aus dem Milieu tatsächlich mit Mord gedroht haben soll. Am Dienstagabend hatte die Pressestelle der Polizei bestätigt, dass in diese Richtung ermittelt wird. „Es sieht so aus, als sei die Tat vorgetäuscht“, sagte der Pressesprecher Jens Lauer. Am Mittwoch gaben Polizei und Staatsanwaltschaft bekannt, die Frau habe zugegeben, dass sie den Kissenmörder nur erfunden hat. Die Prostituierte habe sich bei den Vernehmungen in zu viele Widersprüche verstrickt und sei unglaubhaft erschienen.

Zudem hatte das angebliche Opfer offenbar nicht bedacht, dass die Flure jenes Bordells mit Kameras überwacht werden. Der Rotlichtbetrieb ist einer der ältesten im Leonhardsviertel und gehört zu denjenigen, die von der Stadt zwar nicht genehmigt sind, aber Gewohnheitsrecht genießen. Sein Betreiber hatte nach eigener Aussage von Anfang an Zweifel an der Erzählung der Prostituierten. „Niemand hat in den Nachbarzimmern etwas gehört, niemand hat etwas gesehen, im Zimmer gab es keinerlei Kampfspuren“, sagt der Mann, der seinen Namen in der Zeitung nicht genannt haben möchte. Auch die Prostituierte habe keine sichtbaren Spuren ernsthafter Gegenwehr gezeigt, wie sie im Überlebenskampf zu erwarten wäre.

Einen entscheidenden Hinweis gaben die Bandaufzeichnungen des Kamerabildes. Auf den Bändern sah der Bordellbetreiber, wie der angebliche Täter an der Zimmertür stehen bleibt und mit jemandem spricht. Weil kaum jemand anders im Zimmer war, kann der Gesprächspartner nur die Prostituierte gewesen sein. „Am Ende des Bandes ist sogar kurz eine Frauenhand am Türrahmen zu sehen“, sagt der Bordellbetreiber. Nach dem Sichten habe er die Frau zur Rede gestellt und die Aufzeichnungen der Polizei übermittelt.