Bewohner und Gewerbetreibende des Leonhardsviertels veranstalten ein Bankett – um gegen die Untätigkeit der Kommunalpolitik zu protestieren.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Ursprünglich war der Termin als eine Art Wahlempfehlung gedacht. Am 24. Mai, damit einen Tag vor den Kommunalwahlen, feiert das Leonhardsviertel seine geschichtsträchtige Vergangenheit als ältestes Quartier Stuttgarts. Der Gedanke, damit die zu Wählenden zu mahnen, dass sie sich endlich um das zwischen Baufälligkeit und Zwangsprostitution taumelnde Viertel kümmern mögen, ist im Zuge der Planungen irgendwie verloren gegangen. Nicht allerdings das grundsätzliche Ziel: Nicht nur zu nörgeln, auch selbst etwas zu tun für eine bessere und damit wieder geschichtsträchtige Zukunft.

 

Der Name des Straßenfestes offenbart viel über seine Initiatoren: Schmuddel-Bankett haben sie ihre Veranstaltung getauft, in einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie. Sie sind Menschen, die im Rotlichtviertel leben und abseits der Rotlichtbranche in ihm arbeiten oder Menschen, die einfach der Verfall der Altstadt schmerzt. Zu letzteren gehört allen voran Joe Bauer, der Stadtspaziergang-Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten. Die „Geplagten und Freunde der Altstadt“ – so nennen sie sich selbst.

Christina Beutler erlebt den Verfall täglich im Kleinen

Zu ersteren zählt Christina Beutler, die ein gutbürgerliches Publikum am Straßenstrich vorbei in ihre Weinstube Fröhlich an der Leonhardstraße lockt. Das Haus hat sie seit 1988 von der Stadt gepachtet und erlebt den Verfall des gesamten Viertels täglich im Kleinen. „Seit vier Jahren wird uns eine Sanierung versprochen, aber nichts passiert“, sagt Beutler. „Alles kommt runter.“

Das symbolische Mahnmal dagegen wird tatsächlich ein Bankett sein, eine 20 Meter lange Tafel auf der Leonhardstraße, aufgebaut zwischen dem Goldenen Heinrich und dem Club Messalina, umringt von Stehtischen, ergänzt mit einer Bühne für die Live-Musik und selbstverständlich die Redner. Zum Programm gehört das Gedenken an den einst legendären Linken-Club Voltaire und eine Südfunk-Reportage aus dem Jahr 1993. Damals fürchteten die Filmemacher, „dass die Leonhardstraße eine schicke Einkaufsstraße werden soll“, sagt Beutler. „Das ist schon Ironie.“

Der erste Versuch, das Quartier zu beleben, war eine Suppenküche, ebenfalls auf der Straße und ebenfalls mit Bühnenprogramm. Allerdings endete er ziemlich trist – des Nieselregens wegen an einem kalten Dezembertag. Diesmal „hoffen wir schon, dass es immer lebendig ist“, sagt Beutler. Schließlich „wollen wir möglichst viele darauf hinweisen, worum es uns geht“.

„Im Rathaus gibt es nicht einmal eine Meinung“

Das ist zum einen, „dass es im Quartier nicht nur Elend gibt“. So sagt es Heinrich Huth, der um die Ecke Gästen in der Jakobstube Bier über die Theke reicht, einer Altstadtpinte, über der Huth auch wohnt. Zum anderen ist es „das Gefühl, dass im Rathaus nichts passiert, da gibt es nicht einmal eine Meinung, an der man sich reiben kann“. Was kein Bewohner des Leonhardsviertels besser beurteilen kann als Huth. Er ist nicht nur Kneipier, sondern auch Vorsitzender des SPD-Ortsvereins in der Stadtmitte, nebenbei Kandidat für den Gemeinderat. Als Vorbild dafür, wie eine Stadtverwaltung ihre historische Altstadt auch behandeln kann, dient ihm sein Geburtsort: Heidelberg.

„Man muss das Viertel bespielen“, sagt Huth. „Das ist wichtig.“ Das ist seine Erkenntnis aus jener Suppenküche. Trotz des Wetters blieb sie nicht unbemerkt – im Milieu. So lange die Musik spielte, waren die Frauen vom Straßenstrich verschwunden. Zumindest einen ersten Versuch gibt es, die Straße dauerhaft anders zu beleben als mit Dirnen und deren Zuhältern. Der Wirt des Goldenen Heinrichs hat beantragt, dass er vor seinem Lokal Tische aufstellen darf. Das Ansinnen ist zumindest nicht ohne Chance. Der Bezirksbeirat hat zugestimmt.