Seit RTL 2 mit "Tatort Internet" öffentlich auf Pädophilenjagd geht, wird darüber gestritten wie Kinder vor Übergriffen geschützt werden müssen.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Stuttgart - Am Donnerstag ist er nach über einer Woche wieder aufgetaucht. Seine Angehörigen hatten bereits das Schlimmste befürchtet. Der Leiter eines Würzburger Kinderheims war am Donnerstag letzter Woche von seinem Arbeitgeber vom Dienst suspendiert worden, nachdem er durch ein RTL-2-Team mit versteckter Kamera dabei gefilmt worden war, wie er einer 13-Jährigen eindeutige Avancen zum Geschlechtsverkehr machte. Der Mann gilt als Kinderschänder. Für deren Ergreifung, so die Überzeugung vieler, ist jedes Mittel recht.

Die von RTL 2 ausgestrahlte und auf zehn Folgen konzipierte Serie "Tatort Internet - schützt endlich unsere Kinder" macht es vor - und nimmt für sich in Anspruch, in Form eines "investigativen und gesellschaftlich relevanten Formats" aufzurütteln. Die Sendung arbeitet dabei mit Lockvögeln. Auf öffentliche Pädophilenjagd gehen Stephanie zu Guttenberg und Udo Nagel. Der ehemalige Mitarbeiter des Polizeipräsidiums München arbeitete unter Innensenator Ronald Schill in Hamburg. Ein Mann, der für seine hemdsärmlige Art bekannt ist. Als Vorlage des RTL-2-Formats gilt die amerikanische Serie "Catch a Predator".

Auch wenn die letzte der drei bisher ausgestrahlten Folgen nur noch 790.000 Zuschauer sahen, streitet die Republik heftig über Sinn und Unsinn dieses Formats und darüber, wo das Ermittlungsmonopol von Polizei und Staat beginnt. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger verwies auf die Gefahr, dass der Rechtsstaat in Schieflage gerate, wenn Unschuldige angeprangert würden. Auch der Deutsche Kinderschutzbund hat "Tatort Internet" gerügt. Sexuelle Gewalt gegen Kinder müsse bekämpft werden, sagt dessen Geschäftsführerin Paula Honkanen-Schoberth. Die Ermittlung von Tätern sei aber Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden.

Polizei ist begeistert


Der Bund Deutscher Kriminalbeamter und die Deutsche Polizeigewerkschaft hingegen befürworten das neue Sendungsformat. Es sei gut und richtig, dass das Thema so breit in die Öffentlichkeit getragen werde, sagt BDK-Sprecher Bernd Carstensen. Rainer Wendt von der Polizeigewerkschaft sieht durch die Sendung den Druck auf Pädophile erhöht.

Der eine Woche lang Vermisste ist einer der Pädophilen, die die TV-Ermittler in Deutschland zur Strecke gebracht haben wollen. Über die Anonymität des Internets hatte eine vermeintlich 13-Jährige, hinter der sich die Journalistin Beate Krafft-Schöning verbirgt, den Mann kennengelernt. Im Mai 2010 war es zu einem Treffen der beiden gekommen. Wieder tritt keine wirklich 13-Jährige auf. Diesmal wird das Mädchen von einer älteren Schauspielerin gespielt. Immer dabei: RTL 2 mit versteckter Kamera und verstecktem Mikrofon, die die Begegnung dokumentieren, um sie später verpixelt und akustisch verzerrt wiederzugeben. In dem Gespräch geht es ums Näherkennenlernen und Kuscheln - und ums gemeinsame Übernachten, da die Eltern des Mädchens nicht zu Hause sein sollen. So die Legende. Zu dieser Übernachtung kommt es natürlich nicht. Krafft-Schöning betritt die Bühne und gibt sich als Journalistin zu erkennen, die die ganze Sache eingefädelt hat.

In den Gesprächen, die sie dann mit den Verdächtigen führt, fallen Sätze wie: "Was würde Ihre Frau sagen?", "Was würde Ihre Schule sagen?" und "Es kommt für Sie noch viel schlimmer. Sie werden im Fernsehen erscheinen." Ein Pranger mit Ankündigung also? Oder nur eine neue Form des Reality-TV? Eine Befriedigung des Voyeurismus und der Lust am Grusel, wie sie schon lange durch "Aktenzeichen XY" bedient werden - allerdings mit dem Unterschied, dass die Verbrechen dort bereits geschehen sind und nicht erst durch den Sender initiiert werden.

Zwischen Dreharbeiten und Ausstrahlung liegen fünf Monate


Die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien prüft die Sendung derzeit. Gegenstand der Überprüfung ist jedoch nicht das Thema der Sendung, sondern die Machart des Formats, wie deren Direktor Wolfgang Thaenert sagt. Nächste Woche steht die Sendung auf der Tagesordnung bei der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten. Die will schnell entscheiden. Von einem investigativen Format, wie der Sender angekündigt hat, mag der Journalist und Vorsitzende des Netzwerks Recherche Hans Leyendecker jedoch nicht sprechen, eher von Verdachtsberichterstattung.

Im Fall des Franken vergingen zwischen Überführung und Ausstrahlung fünf Monate, für die die selbst ernannten Ermittler den Mann, den sie für einen gefährlichen Pädophilen halten, an seinen Arbeitsplatz im Kinderheim zurückkehren lassen. Drei Folgen der Serie sind gelaufen. Anfang der Woche teilte der Sender mit: "RTL 2 wird natürlich die Arbeitgeber und Institutionen benachrichtigen, bei denen die vermeintlichen Täter in ihrem Arbeitsverhältnis mit Kindern zu tun haben." Am Donnerstag vor der montaglichen Ausstrahlung würden die Sendekopien an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben. Die entschieden, ob und wie sie ermitteln.

Der Sender ist damit den Kritikern entgegengetreten, die wie der Hamburger Medienwissenschaftler Steffen Burkhardt das Vorgehen des Senders für strafrechtlich bedenklich halten. Burkhardt attestiert dem Sender die Anstiftung zum Missbrauch. Und die sei strafbar. Auch der Leiter der Netzfahndung des Bayerischen Landeskriminalamtes, Günter Maeser, hält die Sendung für rechtlich problematisch. Er spricht von einer "juristischen Gratwanderung" und rechnet mit einstweiligen Verfügungen, Prozessen und Klagen. Ein Großteil der gezeigten Fälle stelle keine Straftat dar.

Die Kommentare auf der Internetplattform Youtube sprechen eine andere Sprache. Von "bestialisch töten und foltern" bis zu "Genick brechen" gehen die Vorschläge für die vermeintlichen Täter. Im Fall des Würzburger Heimleiters gab sein Arbeitgeber am Donnerstag bekannt, es lägen keine Hinweise auf ein Fehlverhalten im Dienst vor.