Die neunte Staffel des RTL-Formats Dschungelcamp hat ein Problem: Den Kandidaten fehlt die Fallhöhe. Die großen Momente fehlen. Das macht die Show zu einer zähen Angelegenheit.

Stuttgart - Stell dir vor, RTL schickt wieder ein Dutzend semi-prominenter Kandidaten in den Dschungel, aber die Zuschauer wollen lieber den ZDF- „Bergdoktor“ sehen. Alpenpanorama statt aufgepumpter Brüste; ein Halbgott in Lederjacke statt halbnackter C-Promis, echte Krankheiten statt eingebildeter Neurosen und anderer Wehwehchen. Genau das ist in dieser neunten Staffel passiert. Zum ersten Mal stand Deutschlands erfolgreichste Trash-Show nicht mehr auf Platz eins des Quotenrankings. Schlimmer noch, der Zuschauerliebling wurde von einer Serie überholt, die in ihrer öffentlich-rechtlichen Piefigkeit all das verkörpert, was das Dschungelcamp konterkariert: die so genannte heile Welt.

 

6,77 Millionen Zuschauer erreichte „Der Bergdoktor“, knapp eine halbe Million mehr als die Piep-Piep-Piep-Wir-haben-uns-alle-lieb-Show aus dem Dschungel. Die litt in diesem Jahr von Anfang an einem Defekt. Über bleierne Langeweile jammerten Fans auf Twitter, sogar jene, die dem Triathlon aus Eierschaukeln, Klötchen-Essen und Kakerlaken-Baden schon das ganze Jahr über entgegengefiebert hatten. Doch bis zur Niederlage gegen Hans Sigl als Bergdoktor konnten sie sich noch mit der Hoffnung trösten, dass die Öde im Camp auch der Unerfahrenheit des Teams geschuldet war. Keine Prominenten, nirgendwo. Stattdessen lauter Möchtegern-It-Girls und mehr oder weniger musikalische Ein-Mann-Boygroups – Jungs, bei denen man fürchten musste, dass sie schon das Umdrehen in der Hängematte an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit brachte.

Die ersten Tage im Camp plätscherten so vor sich hin, ohne dass man als Zuschauer einen Anlass gehabt hätte, aus dem Schlummer hochzuschrecken. Gut, da war dieser furchtbar unsympathische Typ mit den wirren Haaren, der behauptete, er sei mal RTL-Programmdirektor gewesen – und beinahe auch Bundespräsident. Er wolle sich jetzt im Dschungel warmlaufen, um die abgesetzte Samstagabendshow „Wetten, dass . . ?“ zu moderieren. Walter hieß er, war früher mal eine echte Kanone im Verkaufsfernsehen und der RTL-Show „Der Preis ist heiß“, und auch im Camp schaffte er es mit der Chuzpe eines Gebrauchtwagenhändlers, sich die Pole Position zu verschaffen zwischen lauter „Low Performern“ (O-Ton RTL).“

Das Reservoir an Genitalwitzen geht zur Neige

Ein Auftatmen ging durchs Camp, als „Bundeswalter“ am 13. Tag herausgewählt wurde. Hatte er die Bewohner mit seinen verbalen Ausfällen und seiner Hoppla-Hier-Komme-Ich-Show so nachhaltig genervt, dass sich die sonst so soziale Camp-Mutter Maren Gilzer genötigt sah, ihm einen verbalen „Tritt in die Eier“ zu verpassen. Spätestens da wollte man auch als Zuschauer abschalten. Dabei gelang „Verkaufswalter“ etwas, was noch kein anderer Kandidat vor ihm geschafft hatte. Er brachte es zu einem eigenen Hashtag. Der hieß #MeinGottWalter und bündelte das ganze Unbehagen an dieser Show. Die, das hatte schon ihre Nominierung für den renommierten Grimme-Preis 2014 gezeigt, ist nicht nur längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie nutzt sich auch langsam ab.

Nach acht Staffeln geht das Reservoir an Genitalwitzen zur Neige. Auch die Mutproben haben ihren Schrecken verloren. Längst wissen schon Kinder, dass gekochte Schafhoden zwar wie Mozzarella aussehen, aber eine ganz andere Konsistenz haben – vom Geschmack mal abgesehen. Was aber schwerer wiegt, ist die Besetzung. Kandidaten, die kaum einer kennt – und denen deshalb auch das fehlt, was das Erfolgsrezept des Dschungelcamps bislang ausgemacht hat: eine Fallhöhe. Die Zuschauer wollen sehen, wie die Lieblinge des Boulevards ihre Maske verlieren. Sie wollen sehen, wie sie schon an einfachen Aufgaben wie der Reinigung eines Plumpsklos scheitern. Sie wollen aber nicht sehen, wie arbeitsscheue Möchtegernstars vor Langeweile Eier schaukeln, wie ein Gigolo namens Aurelio, oder schon „das erste belegte Klötchen“ erbrechen, wie der Seifenoper-Darsteller Jörn Schlönvoigt. Und die Show wird auch nicht besser, wenn eine Tanja „Titte“ Tischewitz ihre Brüste so ausdauernd in die Kameras schiebt, als hätten die RTL-Zuschauer so etwas noch nie gesehen. Ausgerechnet die Boulevardzeitung „BZ“ hat deshalb die Berichterstattung über das RTL-Format eingestellt. „In den besten Staffeln war „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ das sich am brutalsten selbst reflektierende Format ever“, schreibt das Blatt. Doch das Dschungelcamp 2015 sei einfach nur sehr, sehr langweilig. „Und wo nichts passiert, muss auch nichts geschrieben werden.“ Dem würde man sich gerne anschließen. Vermutlich hätte man auch selbst schon längst abgeschaltet, wenn nicht eine ebenso unerschrockene wie liebenswert verschrobene Kandidatin gerade um ihren Titel als Königin der Herzen kämpft: Maren Gilzer, die Buchstabenfee aus der Sat-1-Show „Glücksrad“. Ihr werden wir die Daumen drücken, dass sie es bis ins Finale schafft – und natürlich auch bis auf den Thron.