Florence Shirazi und Kai Alt bringen mit ihrem Retrolabel „Mademoiselle Yéyé“ Farbe und Style nach Stuttgart. Ein Gespräch über Mode, Subkultur und darüber, was in Stuttgart fehlt – vor unserem neuen Innenstadtbüro an der Geißstraße.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-Mitte - Ein lauer Sommerabend, die Menschen sind draußen auf der Straße und genießen bei einem Feierabenddrink das Leben. Die Frauen tragen, egal wie alt sie sind, schöne Kleider in allen Variationen. Farbige Kleider, auffallende Kleider in verschiedenen Retroschnitten und mit außergewöhnlichen Mustern haben Florence Shirazi und Kai Alt gesehen. Zu ihrem Leidwesen war das nicht in Stuttgart, sondern in der belgischen Hafenstadt Antwerpen. „Stuttgarterinnen können da noch selbstbewusster sein“, findet Shirazi.

 

Die Schwaben sind bekannt für ihre Autoliebe und die Kehrwoche, für ein modisches Selbstbewusstsein oder einen ausgefallenen Lifestyle eher weniger.

Wer also in der schwäbischen Landeshauptstadt ein Modelabel gründet, braucht vor allem eines: Mut. Wer zudem nicht auf praktikable Funktionskleidung setzt, sondern ein Label für farbenfrohe Mode im Sixties- und Vintage-Style gründet, braucht sogar noch etwas mehr als nur Mut. Nämlich Hoffnung. „In Stuttgart hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Wir glauben, da passiert noch mehr“, sagt Alt. Gemeinsam mit seiner Partnerin entwirft der 43-Jährige seit knapp vier Jahren Kleider und Accessoires für ihre Marke „Mademoiselle YéYé“.

Gründe für einen Umzug in eine modebewusstere Stadt hätte es viele gegeben. Einer davon: Shirazi und Alt lassen unter fairen Bedingungen in Istanbul produzieren. „Wir überprüfen das regelmäßig, sind oft vor Ort“, betont Florence Shirazi. Ein anderer: Die fair-veganen Textilien finden reißenden Absatz in Skandinavien und in den Benelux-Staaten. „Antwerpen hatten wir uns schon mal überlegt“, gesteht Alt. Die Entscheidung, in Stuttgart zu bleiben, ist auch eine emotionale: „Es ist nicht so einfach, mal eben in eine neue Stadt zu ziehen. Und ja, wir sind halt Stuttgarter“, ergänzt die 43-jährige Shirazi.

Präsenz vor Ort ist den beiden Modemachern wichtig

Aber wie Menschen erreichen, denen von allein nicht der Sinn nach flippiger Mode steht? Das funktioniert, wenn man es ihnen direkt vor die Nase setzt. „Unser Store im Fluxus hat sich schnell als großer Erfolg herausgestellt“, sagt Alt. Als Stuttgarter Label muss man in Stuttgart vor Ort sein, darüber sind sich beide nach drei Monaten einig. Ein Online-Shop alleine genügt nicht. Dabei war der Laden in der Calwer Passage nicht geplant. „Das war Zufall, eine glückliche Fügung“, sagt Shirazi.

In etwa so sind die beiden auch in der Modebranche gelandet. Florence Shirazi ist Grafikerin, zudem Mitbesitzerin der Boutique Flaming Star an der Nesenbachstraße 48 im Geberviertel. Kai Alt hat Erziehungswissenschaften studiert. Beide interessieren sich sehr für Mode. „Und wir haben einen ähnlichen Anspruch“, sagt Alt. Aber ein Designstudium oder eine Schneiderlehre haben sie nicht absolviert. „Wir machen alles learning-by-doing“, ergänzt er. Und der Erfolg zeigt – das reicht wohl.

Braucht es dann überhaupt den Standort in einer hippen Metropole? „Die Frage stellen wir uns immer wieder neu“, sagt Alt. „Aber in Stuttgart verstehen die Leute inzwischen, dass zu einer Stadt mehr gehört als Arbeiten und Einkaufen.“ Das wünschen ich die beiden auch für die Stadt, in der sie leben. Das Fluxus, der Marienplatz und seit Kurzem der Bismarckplatz seien Beispiele, dass die Schwaben ihre Stadt nun leben wollen. Das Entwicklungspotenzial sei da. Und eine junge Szene, die sich eine Stadt wünscht, die nicht nur aus Shopping Malls und Staus besteht.

Die Subkultur hat es in Stuttgart immer noch schwer

Aber natürlich sei es im subkulturellen Bereich nach wie vor schwer, etwas zu starten. Das zeige das Beispiel Contain’t, sagt Shirazi. Sie wünscht ein stärkeres Engagement von politischer Seite im subkulturellen Bereich, ebenso wie mehr Verständnis. Dass es funktioniert, wenn sich jemand für eine Sache uneigennützig einsetzt, das zeigt die Fluxus Mall. Jahrelang war die Calwer Passage tot. Bis jemand tatsächlich sein Herz für kleine, unabhängige Händler und Kreative entdeckte und diesen eine Chance gab.

Seitdem hat das Fluxus den Marienplatz, was Urbanität und Hippness angeht, längst hinter sich gelassen. Das Pop-Up-Store-Konzept belebt die Passage stets neu, ideal ergänzt von den wechselnden Gastronomen. „Für den Lifestyle in Stuttgart ist das ein Riesending“, sagt Shirazi. Sogar in manchem Stuttgart-Reiseführer ist die Mall nun erwähnt.

Und was in einer Mall funktioniert, geht auch auf der Straße. Laden, Laden, Gastro, wieder ein Laden, in den oberen Etagen Wohnungen – dieses Konzept beflügelt aus Shirazis Sicht das Hamburger Schanzenviertel. „Im Süden fängt das ansatzweise an der Tübinger Straße an.“ Aber es müsse noch zusammenhängender werden, findet sie. Das belebe eine Stadt.

Was sich die beiden für ihre Branche wünschen, um langfristig in Stuttgart am richtigen Ort zu sein? „Die Stuttgarterinnen können noch mutiger werden“, sagt Alt. Mehr Kleider statt Hosen tragen, das stünde den meisten Frauen gut, findet er. Aber nicht alles ist hoffnungslos: „Es gibt schon viele, die sich durch Mode ausdrücken und sich mit ihrem Stil abheben“, hat Shirazi beobachtet. Ja – in Stuttgart.

Neu an der Geissstrasse 4

Redaktion
Die Zeitungen sind wieder in der City. Mit einem kleinen Büro am Hans-im-Glück-Brunnen und einem feinen Team. Mittendrin, nah am Puls der Stadt und ihrer Menschen. Erster Ausdruck dieser neuen Präsenz unweit der alten – dem Tagblattturm – sind im Büro an der Geißstraße 4 die Fenstergespräche mit echten Stadtmenschen. Mit Leuten, die etwas zu sagen haben, mit Bewegern aus den unterschiedlichsten Bereichen.

Gast
Florence Shirazi und Kai Alt haben gemeinsam vor etwa vier Jahren das Stuttgarter Modelabel „Mademoiselle YéYé“ gegründet. Die Teile dafür entwerfen sie selbst, obwohl beide Autodidakten sind. Alt hat Erziehungswissenschaften studiert, Shirazi ist Grafikerin und Illustratorin und zugleich Teilhaberin an der Boutique „Flaming Star“. Neben dem Shop im Fluxus betreiben sie unter www.yeyeye.de einen Onlinehandel.

Interviewer
Nina Ayerle ist neben Jürgen Brand, Martin Braun, Martin Haar, Sven Hahn, Frank Rothfuß, Ina Schäfer und Kathrin Wesely Mitglied der neuen Redaktion Stadtleben. Nina Ayerle schreibt seit fünf Jahren in der Lokalredaktion über alles, was Menschen in Stuttgart bewegt: das Leben, die Liebe, Mode und Ausgehen. Sie berichtet zudem seit mehreren Jahren aus und über den Stadtbezirk Stuttgart-Süd.