Biometrische Erkennungssysteme wie etwa Irisscanner sind auf dem Vormarsch. Was wäre, wenn damit alles nicht nur gesichert, sondern auch steuerbar wäre?, fragt sich der StZ-Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - Schon im 19. Jahrhundert vermutete der französische Kriminologe Alphonse Bertillon, dass die Unterschiede in den filigranen Mustern der Iris des menschlichen Auges zur Identifikation verwendet werden können. 1983 trat in dem James-Bond-Film „Sag niemals nie“ ein Atombomberpilot auf, an dem eine Hornhauttransplantation vorgenommen worden war, um die mit einem Iris-Scanner ausgestattete Sicherheitskontrolle einer Nato-Basis auszutricksen.

 

15 Jahre später war aus der Fiktion Realität geworden: Bei den Olympischen Winterspielen in Nagano gelangten die Biathleten nur dann in die Waffenkammer, wenn das Muster ihrer Regenbogenhaut mit dem gespeicherten Referenzmuster übereinstimmte.

Biometrische Verfahren jenseits des klassischen Fingerabdrucks erleben einen Aufschwung – erst in passiver Form, von der Gesichtserkennung bis hin zu Algorithmen, die das Verhalten von Menschen auf Kamerabildern als „verdächtig“ oder „unverdächtig“ interpretieren. Aber auch das aktive Bodytracking boomt. Die fortschreitende Miniaturisierung und der zunehmende Einsatz mobiler, körpernaher Geräte („Wearables“) machen biometrische Produkte populär.

Dazu tragen auch Bequemlichkeiten wie Fingerabdrucksensoren und eine bemerkenswerte Lust an der Selbstüberwachung, etwa beim Sport, bei. 2009 installierte Amnesty International in einer Hamburger Bushaltestelle das erste Plakat, das – über eine Minikamera und Gesichtserkennungssoftware – Blicke wahrnehmen konnte. Wenn man das Plakat, einen Aufruf gegen häusliche Gewalt, nicht ansah, war ein Mann zu sehen, der seine Frau schlägt; sah man hin, war ein friedliches Paar zu sehen.

Warum nicht gleich Gefühle diagnostizieren?

Moderne Erkennungssoftware kann bereits Geschlechter unterscheiden. Gearbeitet wird nun daran, über Merkmale wie Frisuren und Kleidungsstücke die soziale und kulturelle Milieuzugehörigkeit zuordnen (und Werbebotschaften individualisieren) zu können. Und ging man früher ins Kino, um einen Film zu sehen, wird es künftig wohl so sein, dass einen der Film sieht. Jeder Zuschauer bekommt dann eine personalisierte Version (mit jeweils unterschiedlichen Produkt-Einspielungen) zu sehen.

Und so könnte eine biometrisch ausgerichtete Welt in einer nahen Zukunft aussehen: Durch an vielen Orten erlauschte „körpernahe“ und andere Daten lassen sich emotionale Absichten („Gefühle“) bereits vorzeitig erkennen. Computer wissen dann oft schon, wonach einem ist, noch ehe es einem selbst bewusst wird. Für den Handel heißt das: alles, was auf Kauflaune hindeutet, kann durch äußere Signale gesteuert und gesteigert werden. Nicht nur das Kino sieht dich, auch der Supermarkt. Sicherheitsbehörden können als „vergehensnahe“ erkannte Personen auf einer interaktiven „Kriminalitätswetterlage“ für eine Stadt oder einen Stadtplan sichtbar machen.

Dann wird durch ein Leak bekannt, dass viele biometrische Verfahren nicht nur Daten einholen, sondern von Geheimdiensten auch aktiv eingesetzt werden. Durch mikro-elektrolytische Verfahren, die mit geringen Strömen, Hautfeuchtigkeit und Substanzen aus der unmittelbaren Umgebung arbeiten, lassen sich Wirkungen hervorrufen, die der gezielten Gabe von Drogen entsprechen. In dem Roman „Der futurologische Kongress“ hat Stanislaw Lem ein ähnliches Szenario bereits vorgedacht. Der Held bemerkt nicht, dass das Leitungswasser in dem Kongresszentrum mit einem Euphorikum versetzt ist. Schließlich sitzt er, von Herrlichkeitsgefühlen überwältigt, auf der Bettkante und segnet die Nachttischlampe.