In der digitalen Welt wird das Leben in vielen Details bequemer. Google weiß schon, was man fragen will, und Amazon hat die Ware längst bestellt. Aber die Sache hat einen Haken, findet der StZ-Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - „Komfort kann eine Bedrohung des Geistes sein“, befand der französische Filmregisseur Bertrand Tavernier. Tatsächlich werden wir nun attackiert von etwas, das auf den ersten Blick ausgesprochen angenehm anmutet. Der digitale Wandel macht das Leben nicht nur bequemer, er hüllt uns in eine ganze Sphäre potenzieller Wunscherfüllung. Amazon will Bestellungen losschicken, die noch gar nicht aufgegeben wurden. Und der Google-Produktchef Sundar Pichai verhieß jüngst: „Wir wollen dem Nutzer Informationen geben, bevor er überhaupt weiß, dass er diese benötigt.“

 

Die Bequemlichkeit, im Marketing Convenience genannt, soll eine neue Stufe erreichen. Dazu werden natürlich als Erstes mehr Daten benötigt. Die Assistenzerweiterung Google Now soll dann darauf zurückgreifen können – oder gleich Informationen liefern, ohne dass danach gefragt worden wäre. Auf Smartphones, Wearables und Laptop-Displays erblühen rund um uns herum die Auskünfte. In seinem Blog „Search Engine Land“ zeigt Danny Sullivan, dass diese Versuche auch ziemlich danebengehen können. Auf die Frage „Was ist mit den Dinosauriern passiert?“ lautete die Direktantwort von Google, Saurier seien das Lieblingsbeispiel von Leuten, die Kindern und Erwachsenen „die Idee eintrichtern wollen, es habe eine über Millionen Jahre verlaufende Evolution gegeben“ und dass die Bibel das Ganze glaubwürdiger erklären würde.

Die Beispiele für ein digital convenientes Leben erinnern im Übrigen oft an die Allmachtfantasien von Kindern, die sich über smartphonegesteuerte Jalousien freuen und, wenn sie ein wenig erwachsener sind, über ortsbezogene Dienste, die einem nicht nur soufflieren, wo man sein Auto geparkt hat, sondern auch gleich noch, wo man in der Gegend Milch kaufen kann (und über allem schwebt der ewige Kühlschrank, der sich die verbrauchte Milch selbst nachbestellen kann). Simst der Partner künftig, dass er vergessen habe, die Wäsche aus der Reinigung abzuholen, soll Google Now einen Kalendereintrag vorschlagen und auf Wunsch auch gleich die Route zur Reinigung liefern. Kein Bedürfnis soll unbefriedigt bleiben. Dabei gibt es, wie ein kluger Mensch einmal angemerkt hat, nichts Schlimmeres als einen erfüllten Wunsch.

Wie ein Gehirn, das in der Nährlösung schwimmt

Ich war mal in einem Hotel, von dem es heißt, es sei ein wirklich gutes Hotel. Es gibt beispielsweise eine eigens für das Hotel gedruckte Fernsehzeitschrift, die – für Menschen, die noch fernsehen – genau an dem Tag aufgeschlagen daliegt, an dem man anreist. Geht man am Nachmittag aus dem Zimmer und kommt abends zurück, so sind die Vorhänge zugezogen. Und dann war da etwas auf der Kippe. Ich hatte meine Reisetasche ausgepackt und sie auf einem Sessel offen stehenlassen. Als ich wiederkam, war sie zugemacht, inklusive der kleinen Gurtschließe über dem Reißverschluss. Es war mir zu viel. Ich schwamm in einem Gefühl des Umsorgtseins, aber das war mir einfach zu viel. Ich fühlte mich wie das Gehirn, das in der Nährlösung schwimmt.

„Nichts“, schrieb der 1990 verstorbene Kulturwissenschaftler Lewis Mumford, „kann die menschliche Entwicklung so wirkungsvoll hemmen wie die mühelose, sofortige Befriedigung jedes Bedürfnisses durch mechanische, elektronische oder chemische Mittel. In der ganzen organischen Welt beruht Entwicklung auf Anstrengung, Interesse und aktiver Teilnahme – nicht zuletzt auf der stimulierenden Wirkung von Widerständen, Konflikten und Verzögerungen. Selbst bei den Ratten kommt vor der Paarung die Werbung.”

Das Marketing nickt.