Sie gewinnen Quizspiele, können Tausende Telefongespräche gleichzeitig führen und sogar schon Zeitungsartikel schreiben. Greifen Algorithmen den Arbeitsmarkt an?, fragt der StZ-Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - Firmen wie Google und Amazon demonstrieren eindrucksvoll, dass der neue Treibstoff der Arbeitswelt Daten sind – immer schneller fließende, immer größere Datenmengen. Bei Amazon wird auch die persönliche Leistung ständig durch eine Software namens Anytime Feedback Tool angestachelt. Mitarbeiter können damit jederzeit Lob oder Kritik über ihre Kollegen teilen.

 

Die „Picker“ in den riesigen Logistikzentren, die dafür zuständig sind, die bestellten Waren aus den Lagerregalen zu pflücken, sind Software-geführt und -überwacht. „Es geht nicht darum zu lernen, wo etwas ist“, sagt ein Manager nüchtern. Die kleinen Handhelds, mit denen die Picker durchs Lager navigiert werden, zählen die Sekunden, die es gedauert hat, dort hinzufinden. Die Amazon-Arbeiter versuchen, mit dem Effizienztakt der Maschinen Schritt zu halten. Anfang 2012 kaufte Amazon für 775 Millionen Dollar die Firma Kiva Systems, heute Amazon Robotics, die mobile Lagerroboter herstellt. Experten sehen durch die Maschinen ein Einsparpotenzial von zwischen 20 und 40 Prozent pro Bestellung.

„Unsere Maschinen befreien den menschlichen Geist, indem sie ihm langweilige Routinearbeit abnehmen“, verkündete IBM-Präsident Thomas Watson in den fünfziger Jahren. „Aber diese Maschinen“, hielt Gewerkschaftsführer Walter Reuther dagegen, „befreien auch Millionen gelernter Arbeitskräfte von ihren Arbeitsplätzen.“ Heute ist ein digitaler Watson bei IBM zugange, der 2011 zwei menschliche Champions der Quizsendung „Jeopardy!“ geschlagen hat. Die künstliche Intelligenz Amelia der Firma IPsoft (Schlagzeile in den Medien: „Der Computer, der hinter deinem Job her ist“) scheint Watson noch zu übertreffen. Amelia spricht 21 Sprachen und hat Kunden in der Bank- und Versicherungswirtschaft und im Ölgeschäft. Der größten japanischen Einzelhandelskette dient sie als Kosmetikberaterin. Und sie kann 26 800 Gespräche gleichzeitig führen – es sieht also nicht gut aus für die Mitarbeiter in den Callcentern.

Auch Journalisten und Designer müssen bangen

Früher verloren während solcher Rationalisierungsschübe ungelernte Arbeiter und Angestellte ihre Jobs. Heute ist auch das Führungspersonal im Visier. Die auf Biotechnologie spezialisierte chinesische Fondsgesellschaft Deep Knowledge hat eine künstliche Intelligenz namens VITAL (Validating Investment Tool for Advancing Life Sciences) sogar als stimmberechtigtes Mitglied in den Vorstand aufgenommen.

Als im März 2014 ein Erdbeben Los Angeles erzittern ließ, war ein Roboter namens Quakebot der Erste, der einen Artikel darüber schrieb. Die Software stammt von dem Programmierer und Journalisten Ken Schwencke, sie sammelt Daten und spezielle Informationen und stellt sie zu einem Artikel zusammen. Der Erdbebentext, mit allen wichtigen Eckdaten, war in drei Minuten fertig. Mehrere Start-ups konkurrieren inzwischen um die vorderen Plätze bei der automatischen Texterstellung, so etwa die Berliner Firma Text-on, die sich auf Finanz- und Sportberichterstattung konzentriert.

In vielen Bereichen glauben Kreative immer noch, dass sie unersetzlich sind. Kann nicht auch hier das Internet als gigantische Ideen-Datenbank dienen, aus der ein intelligenter Algorithmus ein hübsches Design für eine Website, ein Magazin, ein Produkt kombiniert und es mit netten Inhalten füllt? Wie in der Mode – es gibt nichts wirklich Neues, alles ist Remix. Und das Video „Artificum“ des New Yorker Designers Lucien Ng führt einen kühlen Sprung nach vorne: in eine Zukunft, in der Designer bereits durch künstliche Intelligenz ersetzt wurden.