Das Internet ist die größte Ablenkungsmaschine der Weltgeschichte. Daher sei die Frage erlaubt: arbeiten wir noch oder beschäftigen wir uns bloß? Und fördern wir damit gar die Kreativität?, fragt der StZ-Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - Auf einer langen Autofahrt verriet mir einer der Mitreisenden ein Geheimnis. Wenn man so dahinfährt, verwandelt sich das Fahrzeug nach einer Weile in einen kleinen mobilen, abhörsicheren Raum und dieses Gefühl begünstigt offenbar Geständnisse. „In der Früh die ersten drei Stunden“, sagte der Mitreisende, „wenn du die konzentriert durcharbeitest, hast du eine gute Tagesleistung. Alles, was danach kommt, kannst du vergessen.“ Er sagte das in einem Ton, als habe er ein Tabu gebrochen. Als wüsste jeder, dass von formal acht Arbeitsstunden am Tag höchstens ein Drittel mit substanzieller Arbeit ausgefüllt sind und als könne man das nur in einem über die Autobahn dahinschießenden Fahrzeug aussprechen. Wie viel Arbeitszeit braucht der Mensch?

 

Natürlich braucht es mehr Zeit als nur die Phasen, in denen man nahe hundert Prozent auf seine Arbeit fokussiert ist. Den gleichförmigen Zwang zur Produktivität und seine fatalen Folgen hat schon Charlie Chaplin 1936 in dem Film „Moderne Zeiten“ parodiert. Heute findet er sich wieder in den roboterhaft kontrollierten und gesteuerten Arbeitern in den modernen Logistikzentren von Amazon. Wie soll man sich zu dieser Radikalisierung von Effizienz stellen? Sich selbst mit digitalen Hilfsmitteln überwachen und zu mehr Arbeit anstacheln? Wie bei Hühnern, so ist auch bei Menschen Leistung unter Legebatterie-ähnlichen Bedingungen kontraproduktiv. Ein Motivationskiller. Andererseits verlockt im Internet-Zeitalter an jeder Bildschirmecke ein neues Ablenkungspotenzial. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Arbeit und Beschäftigung. Ist es nicht so, dass man sich manchmal hingebungsvoll mit Dingen beschäftigt, die zwar nach Arbeit aussehen, aber keine sind?

Es wird nicht mehr getrödelt als früher

Computer und Internet bilden zusammen die wirkungsvollste Maschine seit je, die einen von der Arbeit abhält – für die einen ein Graus, für andere wiederum ein Potenzial voller Schöpfungskraft. Wohin uns diese neuen Strömungen lenken, ist umstritten. Eine Studie ergab, dass nordeuropäische Angestellte täglich zwei Stunden mit E-Mails verplempern, einer anderen zufolge verbringt ein US-Angestellter im Schnitt 16 Stunden pro Woche „unproduktiv” abgelenkt. Es wird allerdings nicht mehr getrödelt als vorher: In den USA ist die durchschnittliche Arbeitswoche in den letzten zehn Jahren beständig länger geworden. Jobs in einer digitalen Welt haben nur noch wenig mit den Dogmen des Industriezeitalters zu tun, wonach alle Mitarbeiter zur selben Zeit erscheinen und im Gleichlauf fleißig sein sollen. Heute sind arbeitende Menschen, ähnlich wie Sportler, am Produktivsten in Konzentrationsausbrüchen; anschließend müssen sie wieder Energie tanken – und diese Krafterneuerung sieht dem, was konservative Betrachter als Getrödel bezeichnen, verdammt ähnlich.

Es geht nicht mehr so sehr um die Zeit, die für etwas aufgewendet wird, sondern um die Qualität, die erreicht wird. Was nach althergebrachter Sicht verplemperte Arbeitszeit ist, wird inzwischen aber auch hierzulande als produktiv fruchtbarer Boden angesehen. So gibt es zwar keinen gesetzlichen Anspruch auf private Internetnutzung am Arbeitsplatz, aber in vielen Firmen werden Absprachen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern getroffen. Es sei, weiß Davide Villa, vormals Europa-Chef des Jobportals Monster, „auch für Unternehmen wichtig, dass sich die Mitarbeiter am Arbeitsplatz wohlfühlen und Spaß an ihrer Tätigkeit haben.”