Technik macht das Leben leichter, denkt so mancher Romantiker. In Wirklichkeit macht Technik das Leben komplexer – und das ist auch gut so. Hauptsache, Technik macht das Leben nicht komplizierter, findet der StZ-Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - Unsere Aufgabe besteht darin, nach und nach immer höhere Grade an Komplexität zu verstehen und auch zu erschaffen, zum Beispiel Computerchips, internationale Krisen oder Liebesbeziehungen (Beziehungsstatus bei Facebook: „Es ist kompliziert“). Dabei hilft uns der Computer in seiner weltweit vernetzten Form. Komplexe Dinge sind ein bisschen anstrengend, aber das geht in Ordnung. „Das Universum gestattet keine Perfektion“, hat Stephen Hawking die Sache neulich auf den Punkt gebracht. Ohne die winzigen, unperfekten Stellen – Physiker sprechen von Asymmetrien – hätten sich Materie und Antimaterie nach dem Urknall gegenseitig ausgelöscht. So aber ist genug Unordnung für ein Universum mit Fantastillionen rotierender Galaxien und flottierender Staubwolken übrig geblieben.

 

Komplexität verheißt Fortschritt durch Vielfalt. In der Zunahme an Unterschieden liegt so etwas wie eine natürliche Grundlage von Demokratie. „Kultur“, sagte der Schriftsteller Egon Friedell, „ist Reichtum an Problemen.“ Wäre da nicht die misslungene Form der Komplexität: das Komplizierte. Unverständliche Bedienungsanleitungen etwa sind kompliziert. Einer Studie der Technischen Universität Eindhoven zufolge ist der durchschnittliche Nutzer der Ansicht, Geräte, zu deren Inbetriebnahme man mehr als 20 Minuten brauche, seien zu kompliziert. Er wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zurück ins Geschäft tragen. Der Siegeszug des Faxgeräts in den Achtzigerjahren beruhte darauf, dass es erfolgreich zu verheimlichen wusste, dass es eigentlich ein Modem ist. Ein Faxgerät ist etwas Komplexes, trotzdem brauchte man nur ein Blatt Papier reinzustecken und auf einen Knopf zu drücken.

Was haben wir da jetzt wieder richtig gemacht?

Aber auch unter den Kompliziertheiten gibt es positive Erscheinungsformen, was das Thema endgültig komplex macht. So üben künstliche Schwierigkeiten auf Menschen einen geradezu unwiderstehlichen Reiz aus. Das beste Beispiel dafür sind SMS, Twitter und Co. Experten gingen davon aus, dass die Nutzer elektronischer Kommunikationskanäle alles immer bunter, grafisch aufwendiger und bequemer haben wollen. Stattdessen wurde das Eintippen spartanischer, 160 Zeichen kurzer Nachrichten über winzige Tasten zu einem phänomenalen Erfolg. Dann kam Twitter, nochmal 20 Zeichen kürzer, und wieder wusste erst niemand so recht, wozu diese künstliche Verknappung gut sein sollte. Was haben wir jetzt wieder richtig gemacht? Inzwischen hat sich herausgestellt: Twitter ist die erste Zeitung ist, die nur aus dem Inhaltsverzeichnis besteht. Ein Dienst, der die komplexe Welt, aus der die Zeitungen berichten, übersichtlich und handhabbar macht.

Der bedeutende Unterschied zwischen komplex und kompliziert zeigt sich auch im Wandel der Medien. Die Situation des Schiedsrichters bei einem Fußballspiel ist kompliziert – er ist mit seiner individuellen Sicht auf dem Spielfeld in einer schlechteren Position als jeder Fernsehzuschauer, der die Übersicht hat. Hinzu kommt, dass der Medienkonsument auf seinem Second Screen – Tablet, Laptop, Smartphone – ein Ausbund an Netzaktivität ist. Die Frage, wie man den Unterschied zwischen Komplexität oder Kompliziertheit erkennen kann, lässt sich anhand eines Ausflugs ins Grüne beantworten. Der eine sieht sich bei einem Waldspaziergang von der Wahrnehmung einer Unzahl von Blätter und Tannennadeln überfordert. Der andere macht einfach einen Spaziergang durch den Wald und kommt erholt wieder nach Hause.