Ein Spiel namens Trailblazers, das aus Stuttgart stammt, verlangt etwas, das aus der Mode gekommen ist: sich von einem Link zum nächsten durchs Internet zu hangeln. Es ist schwer geworden, Portale wie Amazon zu verlassen, schreibt der StZ-Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - Es ist wie früher. Wie damals, als echte Computerfreaks noch ungestört durch die Weiten des Cyberspace reiten konnten, so wie Gott es ursprünglich vorgesehen hatte. Männer mit der Lizenz zu löten, die wussten, wie man Primzahlen siebt und Superuser im Zentralrechner der Nasa wird – in einer Welt ohne Suchmaschinen, in der man sich durch das World Wide Web bewegte wie Tarzan, indem man sich von Link zu Link schwang.

 

Diese Art, das Netz zu durchqueren, ist Grundbedingung eines wunderbaren Spiels, das „Trailblazers“ heißt und gerade in den USA Furore macht. Es ist „eine Reise ins Zentrum des Internets“, wie das New Yorker Klatsch-Blog Gawker begeistert schreibt. Es geht darum, im Internet von einem Punkt zum anderen zu kommen, ohne dabei eine Tastatur oder eine Suchmaschine zu benutzen – nur, indem man sich entlang von Links durch das Online-Universum klickt. Websurfen, old style. (Der Name des Spiels ist auch eine Anspielung auf die ersten Hochgeschwindigkeitsmodems, die in den 80er-Jahren unter dem Namen TrailBlazer firmierten.)

Die Idee stammt aus Stuttgart. Im April 2010 luden die russische Netzkünstlerin Olia Lialina und Studierende ihres Interface-Design-Projektes „Beautiful Zeros and Ugly Ones“ an der Merz Akademie zum ersten Event unter dem Titel „Trailblazers – Surf the Classic Way“. Der Mannschaftssport mit der Maus ist eine Rückbesinnung auf die Struktur des Netzes. Bei diesem Link-Hopping werden die merkwürdigsten Pfade eingeschlagen, die einen immer wieder an kuriose Punkte im Netz führen. Wer diese Art, sich durch die digitale Welt zu bewegen, noch kennt, ist bei dem Wettsurfen fraglos im Vorteil. „Endlich fühle ich mich gerechtfertigt“, schwärmt ein Mitspieler in New York – „abertausende Stunden online zahlen sich endlich aus“.

Finde einen Weg von Amazon zu Facebook!

Die Aufgaben, die innerhalb einer vorgegebenen Zeit zu lösen sind, sehen so aus: Finde von der Website callahead.com (auf der mobile Toiletten angeboten werden) nur über Links zur New Yorker Cyberspace-Niederlassung der eigentlich in London beheimateten Kunstmesse Frieze Art Fair. Oder finde, zur Auflockerung, im Netz ein Bild von einem Globus. Oder: Finde von Amazon zu Facebook. Was sich einfach anhört, beginnt mit der spannenden Frage: Wie komme ich aus Amazon überhaupt raus? Fast alle Links verweisen in das Innere von Amazon.

Trailblazers macht anschaulich, was sich in den letzten Jahren im Netz verändert hat. Die weitverzweigte und verästelte Hypertextstruktur des Web wird durch Online-Moloche wie Amazon, Ebay, Facebook und Co. immer mehr in eine Ansammlung von Kuppelstädten verwandelt, wie man sie aus den Zukunftsromanen der 50er-Jahre kennt. Die großen, gläsernen Kuppeln sehen zwar hell und transparent aus, sie halten ihre Insassen aber wie in einer Schneekugel unter Verschluss. Wer beim Trailblazers-Spielen nach Wegen sucht, eines der großen Online-Angebote hinaus ins Netz zu verlassen, wird schnell sehen, wie schwierig das inzwischen geworden ist. Kaum noch ein Link zeigt nach außen. Die Betreiber wollen, dass die Nutzer bei ihnen bleiben und konsumieren. Das Flanieren und Entdecken im freien Netz verliert sich, so wie sich das Spazierengehen in den amerikanischen Städten verloren hat, in denen es keine Bürgersteige mehr an den Straßenrändern gibt, nur noch die Möglichkeit, sein Auto auf dem Parkplatz einer der Shopping-Plazas abzustellen und einkaufen zu gehen.