Christian Weisner, der Sprecher der Gruppe „Wir sind Kirche“, bezweifelt, dass der Papst seine Führungsrolle für die Einheit der Kirche eingesetzt hat.


Herr Weisner, der Papst sagt, er habe nicht mehr die Kraft, sein Amt auszuüben. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?
Der Schritt verdient Respekt, allerdings ist die genannte Frist zum 28. Februar sehr kurz. Die Kirche befindet sich in einer tiefen Krise, und ich befürchte, das Haus Gottes ist im Moment nicht gut bestellt.

Meinen Sie deutschlandweit oder international?
Das gilt weltweit für die römisch-katholische Kirche. Es sind nicht nur die Missbrauchsskandale und deren schleppende Aufarbeitung, es sind die unbeantworteten Fragen nach Frauen in der Amtskirche, den Diakoninnen, die Frage nach der Sexuallehre und des Priestermangels. Die katholische Kirche hat Schwierigkeiten, in der Moderne anzukommen.

Haben Sie an der Amtszeit von Papst Benedikt auch erfreuliche Aspekte entdecken können?
Für eine umfassende Bewertung des Lebenswerks und der siebenjährigen Amtszeit von Papst Benedikt XVI. ist es noch zu früh. Mit seiner Antrittsenzyklika „Deus Caritas est“ (Gott ist die Liebe) hat er positive Signale gesetzt. Damit hat er das soziale Gewissen des Christentums in Erinnerung gerufen. Er hat sich wie kein anderer Papst zuvor um die Aufarbeitung sexueller Gewalt und ihrer Vertuschung in der Kirche bemüht, wurde aber in diesen Bemühungen von der römischen Kurie zu wenig unterstützt. Er hat versucht, die theologischen Fragen wieder in die Mitte zu rücken. Er bemühte sich, die Piusbrüderschaft einzugliedern, was ihm aber letztlich nicht gelungen ist.

Das ist vielleicht nicht die Stunde harscher Kritik. Dennoch: Was hat Sie am meisten enttäuscht?
Die katholische Kirche steht im Augenblick vor einer Zerreißprobe, weil wir in ihr eine starke Polarisierung haben. Da wird sich auch Papst Benedikt XVI. fragen müssen, inwieweit er die Polarisierung vorangetrieben hat oder ob er ihr entgegengewirkt hat. Das viel zu lange Entgegenkommen gegenüber den Piusbrüdern und viele andere Dinge – etwa die Wiederzulassung der vorkonziliaren Messe – sind Zeichen dafür, dass Papst Benedikt die Kirche auf einen eher restaurativen Kurs geführt hat. Das hat viele Menschen enttäuscht, sie gingen der Kirche verloren. Wir haben es mit einer Häufung von Krisen zu tun und mit Fehlentscheidungen der Kirchenleitung. Papst Benedikt hat in seiner Amtszeit Bücher geschrieben. Doch bei allem Respekt vor ihm, es stellt sich die Frage, ob er eine Führungsrolle, die sich für die Einheit der Kirche einsetzt, ausgefüllt hat. Ich meine, dass ihm dies nicht so erfolgreich gelungen ist, wie er sich das vorgenommen hatte.

Noch einmal zur Krisenlage. In Deutschland sind die  gescheiterte Aufklärung der Missbrauchsskandale, aber auch die Vorgänge an Kölner Kliniken ein Symptom. Aber wo sehen Sie selbst die weltweite Schieflage?
Die katholische Kirche tritt angesichts der gegenwärtigen Probleme, die wir haben, – Globalisierung, Umweltkrisen, soziale Verwerfungen – weltweit zu wenig in Erscheinung. In diesen Punkten ist sie unter Papst Benedikt weniger als moralische Stimme wahrgenommen worden als unter seinen Vorgängern, sei es nun Johannes Paul II., Paul VI. oder auch Johannes XXIII.

Wer sollte Nachfolger werden? Von welchem Kontinent sollte er stammen?
Es ist wichtig, dass der Nachfolger von der großen Mehrheit der Kardinäle und des Kirchenvolkes getragen wird. Es kommt nicht auf seine Hautfarbe an, sondern auf die Weite seines Herzens und seine Weitsicht für die Kirche.