Auch wenn der erneut angekündigte Neonazi-Aufmarsch in Göppingen wieder abgesagt worden ist, gönnt sich der Runde Tisch gegen Rechts keine Pause. In Aufklärung und Prävention will das Gremium Schwerpunkte setzen.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Göppingen - Der Druck ist ein wenig raus – und das empfinden alle Beteiligten als Vorteil. Eine Verschnaufpause einzulegen oder gar ganz aufzuhören kommt für die Mitglieder des Runden Tischs, der im vergangenen Jahr wegen der rechtsextremen Umtriebe in Göppingen ins Leben gerufen wurde, aber dennoch nicht infrage. Und das, obwohl das Forum zunächst nicht unbedingt als Wunschkind der Verwaltung galt. Zumindest hatte sich der Prozess, bis die Runde eingerichtet war, aufgrund unterschiedlicher politischer Grundhaltungen der Akteure als schwierig gestaltet.

 

Ebenso einig waren sich die Beteiligten bei ihrem jüngsten Treffen allerdings, dass die Abmeldung des für Oktober erneut angekündigten Neonazi-Aufmarsches eine gute Gelegenheit ist, den Fokus der Arbeit neu auszurichten. So erklärte Oberbürgermeister Guido Till, „dass wir darüber sprechen sollten, wie extremistische Tendenzen ganz allgemein in unserer Stadt abgebaut werden können“.

Polizei will sich in die Projekte einbringen

Hubertus Högerle, der Leiter des Führungs- und Einsatzstabs der Polizeidirektion Ulm, sagte zu, dass sich die Polizei in  Präventionsprojekte einbringen werde. „Es ist wichtig, dass sich die bürgerliche Gesellschaft entsprechend aufstellt, um das Ziel zu erreichen, Naziaufmärsche zu verhindern“, sagte er. Ulrike Haas, die Leiterin des städtischen Referats Kinder und Jugend, betonte, „dass es weiterhin wichtig ist, miteinander vernetzt zu sein und Informationen auszutauschen“. Das auslaufende Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ wolle die Stadt deshalb auch fortsetzen.

„Wir tun schon viel, wollen aber in der offenen Jugendarbeit weitere Qualifizierungen anbieten und noch mehr Schulen gewinnen, die sich an der Kampagne ,Schule ohne Rassismus‘ beteiligen“, ergänzte Haas. Bereits fest geplant ist darüber hinaus ein Vortrag mit Professor Kurt Möller, dem Experten für Rechtsextremismus der Hochschule Esslingen, sowie die Ausstellung „Braune Falle“ vom 9. bis zum 24. Oktober im Göppinger Rathaus.

Alex Maier: Zusammenarbeit intensivieren

Alex Maier vom Bündnis Kreis Göppingen nazifrei bekundete zunächst einmal seinen Respekt „für das, was alles geplant ist“. Er hält es für wichtig, „dass sich der Runde Tisch, gerade jetzt, wo wir etwas Luft haben, weiterhin regelmäßig trifft, um die Zusammenarbeit zu intensivieren, zu besprechen, was man machen könnte, und ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen“. Göppingens Sozialbürgermeisterin Gabriele Zull pflichtet ihm bei: „Es ging und geht uns immer auch um die Prävention, deshalb müssen wir uns weiter mit dem Thema beschäftigen.“

Die städtische Integrationsbeauftragte Dagica Horvat kündigte gleich noch eine weitere Veranstaltung an: Am 7. und 8. Oktober werde in Göppingen der Film „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ gezeigt, für den ein Journalist unter dem Pseudonym Thomas Kuban recherchiert hat. Der evangelische Dekan Rolf Ulmer regte an, das ökumenische Friedensgebet im Rahmen der Interkulturellen Wochen „auf den Marktplatz und damit in die Öffentlichkeit zu holen“.

Guido Till bekräftigte, dass er an Aktionen gegen poltischen Extremismus auch weiterhin teilnehmen möchte – „und zwar gegen rechten wie linken Extremismus“. Aus seiner Sicht schade es deshalb nicht, „den Runden Tisch gegen Rechtsextremismus zum Runden Tisch gegen poltischen Extremismus aufzuwerten“. Einen Konsens zu diesem Vorschlag gab es nicht. Neben den inhaltlichen Aspekten werden die Mitglieder des Runden Tisches also auch über die Struktur ihre Arbeit noch einmal reden müssen.

Nachgefragt bei Martin Gross (Verdi)

Bis der Runde Tisch gegen Rechtsextremismus durch die Göppinger Stadtverwaltung ins Leben gerufen worden ist, hat es eine ganze Zeit gedauert. Martin Groß arbeitet als Vertreter der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in dem Gremium mit. Da der 54-jährige Geschäftsführer des Bezirks Fils-Neckar-Alb in Reutlingen lebt, hat er aber auch den „Außenblick“.
Herr Gross, die Nazidemo, die auch für diesen Oktober in Göppingen angemeldet war, wurde abgesagt. Sie sitzen mit am Runden Tisch gegen Rechtsextremismus, den es seit Februar vergangenen Jahres gibt. Kann dieser seine Arbeit nun nicht einstellen?
Ganz im Gegenteil, er sollte noch viel breiter und größer werden. Immer nur auf die Naziaufmärsche zu reagieren, ist meiner Meinung nach viel zu wenig. Jetzt haben wir die große Chance, offensiv gegen rechts zu agieren, und diese Chance sollten wir auch nutzen.
Welchen Aufgaben könnte sich der Runde Tisch denn nun widmen?
Da gibt es ja bereits erste Ideen: etwa ein großes ökumenisches Friedensgebet auf dem Marktplatz, die Aktion „Gesicht zeigen gegen rechts“ auszubauen, weitere Göppinger Schulen zu „gewaltfreien Schulen“ zu erklären. Wichtig ist aber vor allem auch, ein entsprechendes Vertrauen zu schaffen, dass der Runde Tisch seinen Teil dazu beitragen kann, dass die Göppinger eine klare Haltung gegen Neofaschismus einnehmen. Gerade für uns als  Gewerkschafter ist das sehr wichtig. Schließlich waren es die Kolleginnen und Kollegen um Willi Bleicher, die aus dem Konzentrationslager kamen und die Gewerkschaft in Baden-Württemberg nach dem Krieg wieder aufgebaut haben.
Sie kommen aus Reutlingen. Wie wird Göppingen dort wahrgenommen? Als Neonazi-Hochburg oder als Ort der Vielfalt, wie es Oberbürgermeister Guido Till gerne hätte?
Die vielen positiven Maßnahmen, die in Göppingen zum Beispiel in der Jugendarbeit und an den Schulen umgesetzt werden, finden in der überregionalen Presse leider keinen großen Niederschlag. Dort wird Göppingen als Naziaufmarschplatz angesehen. Dies hängt sicherlich mit dem  Spektakel, dem großen Polizeiaufgebot und den Ausschreitungen an den Demonstrationstagen zusammen. Nicht zuletzt deshalb muss der Runde Tisch seine jetzt auch Arbeit fortsetzen.
Und wie kann Göppingen seine Außenwirkung verbessern?
Wir haben alle Möglichkeiten, Aktionen und Veranstaltungen durchzuführen, die interessant und medienwirksam sind. Das wird im Laufe der Zeit auch nach außen wirken und dabei helfen, dass Göppingen wieder als offene und demokratische Stadt wahrgenommen wird.

Kommentar: „“Agieren statt reagieren

Der Runde Tisch, den die Göppinger Verwaltung – auf sanften Druck verschiedener engagierter Gruppen – vor der Neonazi-Demo im vergangenen Jahr eingerichtet hat, um eine Strategie zu entwickeln, wie mit derartigen Umtrieben umgegangen werden soll, macht weiter. Das ist gut und sinnvoll, auch wenn die Autonomen Nationalisten ihren für Oktober neuerlich angekündigten Aufmarsch wieder abgesagt haben.

Zum einen ist das Thema Rechtsradikalismus deshalb in der Hohenstaufenstadt ja noch längst nicht vom Tisch. Zum Zweiten könnten andere faschistische Gruppierungen immer noch auf die Idee kommen, das bestellte Feld zu übernehmen. Und zum Dritten haben die am Runden Tisch sitzenden Nazigegner nun erstmals die Möglichkeit selbst zu agieren, anstatt wieder reagieren zu müssen. Möglichkeiten, etwas zu tun, gibt es genug. Erste Vorschläge wurden beim jüngsten Treffen gemacht, weitere sollten und werden mit Sicherheit folgen.

Wie das Gremium am Ende heißt und ob es, wie Oberbürgermeister Guido Till findet, notwendig ist, über linksextremistische Gewalt, die mit den jüngsten braunen Aufmärschen einherging, am Runden Tisch ebenfalls zu diskutieren, sei einmal dahingestellt. Fest steht indes, dass das, was nun getan werden soll, so pfiffig sein muss, dass auch überregionale Medien darauf anspringen. Nur auf diese Weise lässt sich das verzerrte Bild, dass Göppingen ein Aufmarschgebiet von Neonazis ist, in kleinen Schritten wieder korrigieren.