Wenn die Kanzlerin dieser Tage im Osten auftritt, schlagen ihr wütende Proteste entgegen. Zwar hat die Flüchtlingskrise das Klima verschärft – aber ruppig ist der Ton hier traditionell. Jetzt organisiert die politische Rechte das Schreikonzert mit.

Berlin - Annaberg-Buchholz, Torgau und zuletzt Finsterwalde – hinter Angela Merkel liegen Tage, an denen ihr das Lächeln im Gesicht bisweilen eingefroren sein wird. Wo auch immer die Kanzlerin zuletzt in diesem Wahlkampf Station machte, da hörte sie Protestgeheul. Je weiter im Osten, desto schriller klang es.

 

Unvorbereitet trifft sie das nicht. Trotz aller Beliebtheitswerte in den Umfragen rechnet die Bundeskanzlerin im Osten so sehr mit Protesten, dass sie die Schreier gleich zu Beginn ihrer Rede anspricht. Andere Länder würden sich freuen, „wenn sie unter so demokratischen Bedingungen demonstrieren könnten“, sagte sie in Torgau. „Und deshalb können wir dankbar sein, dass wir heute Demokratie haben in Deutschland und freie Wahlen. Andere Völker träumen davon.“ Bei ihrer Sommer-Pressekonferenz in Berlin sagte Merkel: „Ich finde es besonders wichtig, dass ich deshalb in vielen Städten der neuen Bundesländer auftrete, weil ich gerade auch Menschen ermutigen möchte, dorthin zu kommen und eben auch Flagge gegen das Gebrüll zu zeigen, dass es da ja zum Teil gibt. Damit muss man leben. Das ist Demokratie.»

Vuvuzelas, Tröten und Gebrüll

Wer im Osten Wahlkampf macht, der kennt das Phänomen: hier ist der Ton traditionell rauer, Gegenproteste sind keine Seltenheit. Diesmal ist der Protest offenkundig orchestriert. Die Bilder der Gegendemonstrationen zeigen die immer wieder selben Eindrücke. „Hau ab“ und „Volksverräter“ schreien die Chöre zwischen Trillerpfeifattacken, Demonstranten halten auf den halbvollen Marktplätzen Plakate hoch, die zur „Entsorgung“ der Kanzlerin auffordern. Gepfiffen und gebuht wird manchmal die ganze Rede über, 30 Minuten.

Dazu braucht es viel Wut, aber nicht viele Rufer: in Torgau zum Beispiel zählt die Polizei insgesamt etwa 1200 Menschen auf dem Platz, die Zahl der Störer wir auf etwa 200 geschätzt. Der Lärm ist so ohrenbetäubend, dass der Tontechniker die Rede von Angela Merkel lauter stellen muss. Vuvuzelas, Pfeifen, Tröten werden eingesetzt. In der nordsächsischen Kleinstadt hatte der Verein „Spektrum aufrechter Demokraten e.V.“ gemeinsam mit der AfD Nordsachsen und den Querfront-Aktivisten vom „Bürgerforum Südbrandenburg“ zur Gegendemonstration aufgerufen. Auch die NPD und der Pegida-Ableger „Thügida“ war mit Protestierern und einem Lautsprecherwagen vor Ort. Auch in Annaberg-Buchholz kamen die lautesten Stimmen aus dem Lager der Anhänger von AfD und Pegida. Und in Finsterwalde nahm die Polizei zwei Männer fest, die den Hitlergruß zeigten.

Der Protest ist offenkundig orchestriert

„Diese Republik wird nicht durch Brüllerei weiterkommen“, sagt der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) angesichts der Proteste in Torgau. Er ist derjenige, der in seinem Bundesland seit Pegida die meiste Erfahrung mit der Unsitte hat, den politischen Gegner niederzubrüllen. Dass die Kanzlerin, der Bundespräsident oder andere Vertreter aus dem fernen Berlin im Osten mit einem extrem ruppigen Empfang, rechnen müssen, das ist kein Phänomen dieses Bundestagswahlkampfes. Neu ist der teils blanke Hass und die Gleichförmigkeit des Protestes mit der Kanzlerin als Hassfigur: die Wurzel dafür liegt im Protest von Pegida in Dresden, wo die Kritik seit dem Herbst 2014 mit feststehenden Begriffen wie „Volksverräterin“ oder „IM Erika“ aufgeladen wird.

Das Klima hat sich mit dem Ansturm der Flüchtlinge im Sommer 2015 deutlich verschärft – und endet auch nicht bei verbalen Kraftausdrücken. Im sächsischen Heidenau mündete eine Demonstration der NPD im August 2015 in nächtelangen Ausschreitungen gegen ein Asylbewerberheim. Als Merkel nach einigen Tagen den kleinen Ort besuchte, musste sie von den Protestierenden abgeschirmt werden. Die AfD gehört zu den Wegbereitern der angeschlagenen Tonlage: Der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke brüllte 2015 in Erfurt von der Bühne, dass seine Gegner „Lumpenpack“ seien, und bei zahlreichen Kundgebungen anderer Spitzen der Partei hören die Redner geduldig zu, wenn ihre Zuhörer Merkel-Beschimpfungen skandieren. Der vorläufige Tiefpunkt der Brüllerei war vor einem knappen Jahr bei den Einheitsfeiern in Dresden erreicht.

Eier gegen Kohl, Tomaten gegen Platzeck

Dass im Osten der Republik der Protest auf der Straße sehr ruppig ablaufen kann, damit haben Politiker seit vielen Jahren ihre Erfahrungen gemacht. Eine Kundgebung ohne Gegner ist eher die Ausnahme. Selten jedoch verlaufen sie so heftig wie zum Beispiel 1991 als eine wütende Menge Helmut Kohl in Halle empfing. Er wurde angebrüllt und mit Eiern beworfen. Nach der Einführung von Hartz IV – und Montagsdemonstrationen über Monate – erlebte Brandenburgs SPD und ihr damaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck 2004 einen Landtagswahlkampf, in dem durchsichtige Regenschirme gegen Eier und Tomaten zur Standardausrüstung der Leibwächter gehörten. Wochenlang wurde Platzeck auf kleinen Marktplätzen niedergebrüllt. Er machte weiter, jeden Tag, ging nach jeder Rede zum Gespräch auf den Platz. Das war damals vielleicht der Unterschied: die Wut war groß, aber selbst die wütende Minderheit war noch zum Dialog bereit. Das scheint beim Hass von heute ein eher fruchtloses Unterfangen.