Für die Ernährungsindustrie bedeutet der russische Importstopp nur eine Verschärfung der bereits geltenden Einfuhrschranken.

Stuttgart - Russland ist zwar der größte Absatzmarkt für deutsche Nahrungsmittel außerhalb der EU, gemessen am gesamten Exportvolumen der deutschen Ernährungsindustrie von 54 Milliarden Euro (2013) fallen die rund 1,3 Milliarden Euro im Russlandgeschäft deutscher Exporteure allerdings weniger stark ins Gewicht. Als wichtigste Exportgüter in Richtung Moskau nennt die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) Milchprodukte, Schokolade, Agrarerzeugnisse und Schweinefleisch, für das bereits ein Importstopp seit Februar 2014 gelte. Die Bedeutung Russlands als Exportmarkt nimmt dem Verband zufolge quer durch alle Warengruppen ab. Allein 2013 seien die Lebensmittellieferungen um 15 Prozent zurückgegangen.

 

Dennoch kritisierte BVE-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff aktuell die neuen Verbote: „Handelshemmnisse und Sanktionen verfehlen nachweislich ihr Ziel, wenn sie, wie hier, zu Lasten von Wirtschaft und Verbrauchern gehen.“

Der Einbruch bei Käse ist extrem

Besonders starke Einbußen im Russlandgeschäft mussten in den vergangenen Monaten die deutschen Milchverarbeiter hinnehmen. „Anders als andere Länder hatten wir unseren Handelskrieg mit Russland bereits“, sagte Eckhard Heuser, der Geschäftsführer des deutschen Milchindustrie-Verbandes (MIV). Deutsche Betriebe seien schon vor der Sanktionsrunde zu 95 Prozent für den russischen Markt gesperrt gewesen. Extrem sei der Einbruch bei Käse: „Wir waren bis vor anderthalb Jahren der größte europäische Exporteur nach Russland.“ In Spitzenzeiten hätten bis zu 150 Betriebe jährlich 60 000 Tonnen Käse auf den russischen Markt gebracht, so der Agraringenieur. Russland habe die Betriebe und Bundesländer aber nach und nach für den Export gesperrt; durch überzogene tierärztliche Bestimmungen und Produktionsanforderungen. Bei Betriebsbesichtigungen seien teils „hanebüchene Anforderungen“ gestellt worden, so Heuser, „die nicht erreichbar waren und nur dazu führen sollten, uns vom Markt zu drängen“.

Am Ende seien gerade noch zwei Betriebe fähig gewesen, Milch- und Käseerzeugnisse nach Russland zu liefern: die deutsche Tochter der niederländischen Molkereigruppe Friesland-Campina, die in Heilbronn hergestellten Joghurt nach Russland schickt, und die norddeutsche Molkereigenossenschaft Deutsches Milch Kontor (DMK), die Käse aus Altentreptow (Mecklenburg-Vorpommern) exportiert. Eine Sprecherin des größten deutschen Milchverarbeiters wollte keine Prognose über mögliche Konsequenzen abgeben: „Derzeit ist für DMK nicht absehbar, inwieweit die Milchwirtschaft von den neuerlichen Exportsperren betroffen sein wird.“ MIV-Geschäftsführer Heuser rechnet mit weit reichenden Umleitungen von Warenströmen. So müssten sich osteuropäische Produzenten, denen ebenfalls Exporte nach Russland wegbrechen, neue Absatzmärkte suchen. Sie könnten den deutschen Herstellern dabei Konkurrenz machen. Andererseits würden sich auch für die Deutschen neue Chancen auftun. Heuser glaubt, dass Länder wie Brasilien, Argentinien und Neuseeland in die Lücke stoßen: „Sie werden mehr nach Russland liefern und damit auch Märkte für uns frei machen.“ Als Beispiel nennt er den chinesischen Markt.

Obstbauern vom Bodensee befürchten Preisdruck

Auch die Landwirte in Baden-Württemberg machen sich Sorgen wegen des russischen Einfuhrverbots für Agrarerzeugnisse. Die Obstbauern vom Bodensee und die Gemüseproduzenten von der Insel Reichenau befürchten, dass ausländische Äpfel, Gurken oder Tomaten nun den Preis drücken könnten. Polen exportiere sehr viel nach Russland – und wenn der Markt dort wegbreche, müsse das Obst irgendwo anders hin, sagte ein Sprecher der Obst vom Bodensee Marketinggesellschaft in Tettnang.

Wie selektiv der Importstopp für Nahrungsmittel ist, zeigt die Tatsache, dass ausländische Süßwarenhersteller weiterhin uneingeschränkt nach Russland liefern dürfen. Erleichterung darüber brachte am Donnerstag eine Sprecherin von Ritter Sport in Waldenbuch zum Ausdruck: „Russland ist unser wichtigster Auslandsmarkt, wir sind sehr froh, dass wir keine Einschränkungen haben.“ Seinen Russlandumsatz nennt das Familienunternehmen nicht. Die deutschen Hersteller haben im letzten Jahr 44  600 Tonnen Süßwaren nach Russland exportiert und damit 163 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, knapp die Hälfte davon mit Schokolade.