Offenbart die Russland-Affäre Versäumnisse in der Zeit von Utz Claassen als Konzernchef der EnBW? Diesen Verdacht äußert jedenfalls sein Nachfolger Hans-Peter Villis – und bringt damit Claassen gegen sich auf.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die undurchsichtigen Russland-Geschäfte der EnBW führen nun auch zum Krach zwischen dem scheidenden Konzernchef Hans-Peter Villis und seinem Vorgänger Utz Claassen. In einem Brief an Villis verwahrt sich Claassen energisch gegen den Eindruck, das System zur Einhaltung von Regeln – die sogenannte Compliance – sei in seiner Amtszeit unzureichend gewesen. Damit reagiert er auf ein Interview seines Nachfolgers, in dem dieser Defizite bei der guten Unternehmensführung („Corporate Governance“) moniert hatte. Er lasse „von niemandem insinuieren, die EnBW hätte während meiner Amtszeit ein massives Compliance-Problem gehabt“, schreibt Claassen. Gegen diese Verletzung seiner Rechte werde er sich „mit größter Entschiedenheit“ wehren. Sein Anwalt bestätigte auf StZ-Anfrage die Existenz eines solchen Schreibens, wollte sich zum Inhalt aber nicht äußern.

 

Villis hatte sich gegenüber dem „Handelsblatt“ zur Aufarbeitung der umstrittenen Verträge mit dem russischen Lobbyisten Andrey Bykov geäußert. Nach der „Aufdeckung der Vorfälle“, deretwegen inzwischen die Staatsanwaltschaft ermittelt, habe man „das ganze Thema Compliance . . . systematisch neu angepackt“. So sei „das Thema Revision neu aufgesetzt“ und ein „qualifiziertes Vieraugenprinzip“ eingeführt worden; anders als früher müsse bei allen wichtigen Verträgen der Rechtsbereich eingebunden werden. „Früher gab es bei der EnBW eine solche systematisch weitreichende Corporate Governance nicht“, lobte sich der im Herbst ausscheidende Vorstandschef. Auf die Frage, ob es vor seiner Zeit ein „massives Compliance-Problem“ gegeben habe, antwortete er: „Ich habe jedenfalls eine bestimmte Auffassung von Compliance, und die habe ich umgesetzt.“ Zu seinem Vorgänger Claassen sagte er, man habe „keine Belege dafür gefunden, dass er sich rechtlich falsch verhalten hat“.

„Leerer Vorstandssafe, vernichtetes Archiv“

In seinem Brief an Villis, der auch an den zuständigen Rechtsvorstand Bernhard Beck und den Aufsichtsratsvorsitzenden Claus Dieter Hoffmann ging, reagiert Claassen „mit einigem Erstaunen“ auf die Äußerungen. „Inakzeptabel“ nennt er besonders die Aussagen „über den angeblichen Zustand von Compliance bei der EnBW vor Ihrer Amtszeit“. Tatsächlich habe der Vorstand unter seiner, Claassens, Führung „die Qualität von Revision, Governance und Compliance maßgeblich und nachhaltig verbessert“.

Die Verhältnisse bei seinem Amtsantritt im Jahr 2003 schildert Claassen als desolat, ohne seinen Vorgänger Gerhard Goll namentlich zu nennen: Das Archiv der Konzernrevision sei „vernichtet“ gewesen, der Vorstandssafe „praktisch leer“, in Golls Büro hätten sich „nur noch vergleichsweise rudimentäre Spuren von Korrespondenz, Kommunikation und Dokumentation“ gefunden. Gerade der Rechtsvorstand Beck habe beim Thema Compliance „exzellente und wahrlich herausragende Arbeit geleistet“. Zudem verweist Claassen darauf, dass der heutige Chefaufseher Hoffmann die Erklärungen zur Corporate Governance mitbeschlossen habe.

EnBW will keine Kritik geübt haben

Nach StZ-Informationen soll Beck die Äußerungen von Villis als Brüskierung empfunden haben. Eine an ihn persönlich gerichtete StZ-Anfrage beantwortete das Unternehmen. In dem Interview, so die Erklärung, sei „an keiner Stelle“ von Mängeln bei Compliance-Regeln die Rede. Vielmehr verfüge die EnBW „seit Langem über angemessene Compliance-Regeln“. Angesichts verschärfter Anforderungen und der Russland-Affäre seien diese systematisch „neu angepackt und weiterentwickelt“ worden. Beck habe dabei eine zentrale Rolle gespielt, lobt die EnBW.

Kurz vor seinem Abschied Ende September ist Villis sichtlich bemüht, seine Rolle als Aufklärer in der Russland-Affäre herauszustreichen. Einer der umstrittenen Verträge mit Bykov soll zwar in seiner Amtszeit geschlossen worden sein. Auch aus Vorstandskreisen verlautet, er sei teilweise in die Geschäfte mit Bykov involviert gewesen. Die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelt aber nicht gegen Villis, wie ein Sprecher gesagt hatte. Wer die sieben beschuldigten (Ex-)Manager sind, verrät sie bis jetzt nicht.

Die Auseinandersetzung wird derweil zunehmend über die Öffentlichkeit und die Medien geführt. Bykov äußerte sich inzwischen mehrfach in Interviews. In der „Schwäbischen Zeitung“ stellte er einen Zusammenhang zwischen den Angriffen auf seine Person und dem EnBW-Deal von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) her. Man habe beschlossen, ihn zu entfernen, „damit ich den Nacht-und-Nebel-Rückkauf der EnBW-Aktien nicht stören kann“. Ein ähnliches Geschäft will Bykov schon einmal mit einer Intervention bei der Bundesregierung verhindert haben.

Nach StZ-Informationen haben die EnBW oder Villis inzwischen eine Kommunikationsagentur eingeschaltet; darüber gibt es intern gewisse Irritationen. Fragen dazu beantwortete der Konzern nur mit dem Satz, man kommentiere Lieferanten- und Beauftragungsverhältnisse nicht.