Die zuständigen Steuerprüfer hätten die dubiosen Russland-Geschäfte der EnBW der Justiz melden müssen – denn die Zahlungen von etwa 130 Millionen Euro hätten diese wohl brennend interessiert. Nun drohen den Prüfern Konsequenzen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Präsidentin der Oberfinanzdirektion (OFD) Karlsruhe kriegte gerade noch die Kurve. Ob eigentlich alle Konzernbetriebsprüfer wüssten, was zu tun sei, wenn sich in einem Unternehmen Anhaltspunkte für strafbare Sachverhalte fänden? Solche Hinweise, erläuterte Andrea Heck jüngst vor Journalisten, müssten an die Straf- und Bußgeldsachenstelle weitergeleitet werden, die wiederum die Einschaltung der Staatsanwaltschaft prüft. Und das funktioniere auch immer? Auf die Nachfrage begann Heck zögernd zu nicken, bis ihr von einem Mitarbeiter des neben ihr sitzenden Finanzministers Nils Schmid (SPD) ein „meistens“ zugeflüstert wurde. „Meistens“, antwortete sie schnell.

 

Es gibt also auch Fälle oder zumindest einen Fall, so der Umkehrschluss, in dem die Weitergabe versäumt wurde. Vieles spricht dafür, dass es sich um den Umgang des Fiskus mit den dubiosen Russland-Geschäften des Energiekonzerns EnBW handelt. Die Millionenzahlungen an den Moskauer Lobbyisten Andrey Bykov, der damit offenbar große Gasgeschäfte anbahnen sollte, kamen den Prüfern zwar spanisch vor. Sie weigerten sich denn auch, diese als absetzbare Betriebsausgaben anzuerkennen. Aber die Straf- und Bußgeldsachenstelle oder gar die Justiz ließen sie aus dem Spiel, offenbar auf Wunsch der EnBW. „Hauptziel erreicht, Abgabe der Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft wurde vermieden“, hieß es in einem internen Vermerk zum Abschluss der Prüfung vom April 2011. Dankbar notierte der Konzern, dass die Prüfer auf die – verräterische – „Benennung des Rechtsgrunds“ verzichteten.

Transparency vermutet „Amtspflichtverletzung“

Dabei hätten die Zahlungen von etwa 130 Millionen Euro, die vorgeblich für nukleare Geschäfte flossen, die Justiz brennend interessiert. Aufgrund von Medienberichten im Jahr 2012 nahm die Staatsanwaltschaft Mannheim alsbald Ermittlungen auf, wegen des Verdachts auf Untreue und eben Steuerhinterziehung. Auch die Organisation Transparency International sah die Betriebsprüfer im Zwielicht. Ihr Agieren erwecke den „Eindruck einer Amtspflichtverletzung“, befand ein Sprecher gegenüber der StZ.

Doch alle Versuche von Parlament oder Medien, die zweifelhafte Rolle des Fiskus bei der Russland-Affäre aufzuhellen, werden seither abgeblockt. Unter Bezugnahme auf die StZ erkundigte sich die Landtags-FDP per Anfrage nach dem, so die Überschrift, „ganz speziellen EnBW-Deal der Steuerprüfer“. Wenn die Staatsanwälte schon aufgrund von Medienberichten ein Verfahren einleiteten, folgerte der Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, müsse die Betriebsprüfung „erst recht Anhaltspunkte für strafbares Verhalten“ ergeben haben.

Finanzministerium verweist auf Steuergeheimnis

Die Antworten des Finanz- und Wirtschaftsministeriums fielen denkbar karg aus. Das Vorgehen der Betriebsprüfer erläuterten die Beamten wegen des Steuergeheimnisses nur abstrakt: Wenn ausreichend Anhaltspunkte für eine (Steuer-)Straftat vorlägen, müsse die Straf- und Bußgeldsachenstelle („Strabu“) eingeschaltet werden. Diese sei aber „auch dann zu unterrichten, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss“. Zumindest diese Möglichkeit kann den Konzernprüfern bei der EnBW kaum verborgen geblieben sein. Es wimmelte schließlich an Ungereimtheiten um die Verträge mit Bykov und die darauf basierenden Zahlungen. Doch die Abgabe an die „Strabu“ unterblieb.

Ebenfalls nur abstrakt beantwortete das Ministerium, was im Fall eines solchen Versäumnisses geschehe: Man würde die zuständigen Stellen nachinformieren und „alle erforderlichen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen treffen“ – wozu auch Konsequenzen für die Beamten gehören dürften, die ihre Pflichten verletzt haben. Im Jahr 2011, nach dem die FDP gefragt hatte, habe das Ministerium „keine solchen Maßnahmen ergriffen“. Kein Wunder: von den Vorgängen bei der EnBW erfuhr es erst 2012.

Den Konzernprüfern drohen Konsequenzen

Wie aber war es 2012 oder 2013? Gab es da die Ausnahme von der Regel, die die OFD-Präsidentin indirekt zugegeben hatte? „Aufgrund des Steuergeheimnisses“ könne man diese Frage, anders als für 2011, nicht beantworten, beschied das Finanzressort eine StZ-Anfrage. Im Klartext: zumindest in einem Fall – offenkundig der Russland-Affäre – wurden die Fahnder trotz möglicher strafrechtlicher Relevanz nicht eingeschaltet. Ob und welche Folgen das für die EnBW-Prüfer hat, wurde nicht verraten. Sie müssen womöglich mit einem Disziplinarverfahren rechnen, wenn nicht schon Untersuchungen laufen.

Zumindest in einem Punkt war das Steuergeheimnis – offenbar nach Rücksprache mit der EnBW – keine Hürde: Ministerium und Oberfinanzdirektion, hieß es, seien seinerzeit nicht in die Prüfung involviert gewesen. In die Aufarbeitung sind sie nun freilich eingeschaltet. Seit wann? „Das kann ich konkret nicht beantworten“, erwiderte die OFD-Chefin Heck.