Die Russen müssen ihren Kunden Zugeständnisse machen, weil neue Gasvorkommen an Bedeutung gewinnen. Die Förderung von Schiefergas ist freilich heikel. Die Ölpreisbindung könnte bald Geschichte sein.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - D ie Abhängigkeit des Westens von russischen Gaslieferungen bereitet Politikern und Verbrauchern immer wieder Sorgen – vor allem im Winter, wenn Moskau wegen des hohen Verbrauchs im eigenen Land zeitweise weniger Gas durch die Pipelines leitet. Rund ein Drittel des deutschen Erdgasverbrauchs stammt aus russischer Förderung. Vor allem wenn der Ölpreis hoch ist, verdient Gazprom prächtig, denn die Gaspreise in den meisten langfristigen Lieferverträgen sind an die Entwicklung der Rohölpreise gekoppelt.

 

Doch vieles spricht dafür, dass sich die Verhältnisse auf dem Gasmarkt verändern werden. Den jüngsten Beleg dafür liefert der Preisnachlass, den Gazprom seinem deutschen Großkunden Eon gewährte. Wie berichtet, sparen die Düsseldorfer dadurch allein in diesem Jahr rund eine Milliarde Euro. Zuletzt hatte Eon im Gasgeschäft hohe Verluste geschrieben. Wegen der Abnahmeverpflichtung gegenüber Gazprom musste der Versorger teures russisches Gas kaufen und teils unter Einkaufspreis an die Kunden abgeben. Von den gesunkenen Preisen am Spotmarkt, über den der kurzfristige Bedarf gedeckt wird, konnte Eon kaum profitieren.

Plötzlich zeigt sich Gazprom großzügig

Auch andere Kunden haben bereits Rabatte mit Gazprom ausgehandelt. Wie die russische Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ berichtet, hat die Türkei vor Kurzem eine zehnprozentige Preissenkung erhalten und auch Italien kommt günstiger an russisches Gas. Mit dem deutschen Eon-Konkurrenten RWE verhandeln die Russen noch, es wird aber erwartet, dass Gazprom sich hier ebenfalls kulant zeigen wird. Auch der norwegische Statoil-Konzern, der in Deutschland auf einen Marktanteil von fast 30 Prozent kommt, musste seinen Abnehmern bereits Preisnachlässe gewähren.

Woher rührt die Großzügigkeit der Gaslieferanten, die in der Vergangenheit bei Preisverhandlungen nie zimperlich waren? Michael Bräuninger, Forschungsdirektor am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI), führt die Zugeständnisse von Gazprom zu einem erheblichen Teil auf die wachsende Bedeutung sogenannter unkonventioneller Gasvorkommen zurück. Dabei handelt es sich in erster Linie um Schiefergas, das in den Poren tonhaltiger Gesteine eingeschlossen ist und bei einer Bohrung nicht von alleine an die Oberfläche drängt.

Vielerorts bilden sich Bürgerinitiativen

Um unkonventionelles Gas zu fördern, wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden gepresst. Durch dieses sogenannte Fracking entstehen im Gestein Risse, durch die das Gas entweichen kann. Vor allem in den Vereinigten Staaten boomt seit etwa 2005 die Schiefergasförderung, in Europa und Deutschland überwiegen dagegen die Ängste vor einer möglichen Grundwasserkontamination mit giftigen Chemikalien oder vor unkontrolliert austretendem Gas – noch, wie Bräuninger meint. „Je teurer Energie wird, desto eher werden auch in Deutschland die Risiken des Fracking eingegangen werden“, schätzt der Ökonom. Hierzulande gab es bisher nur wenige Fracking-Bohrungen. Energiekonzerne haben sich aber Rechte für weitere Erkundungen gesichert – vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Zugleich nimmt der Widerstand gegen Gasbohrungen zu. Gegen Projekte haben sich vielerorts Bürgerinitiativen gebildet.

Die Produktionskosten für Schiefergas seien zwar höher als bei konventionellen Lagerstätten, lägen aber unter den Marktpreisen für Gas, so dass eine Förderung sich rechne, sagt der Energieexperte. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) schätzt die technisch nutzbaren unkonventionellen Gasvorkommen in Deutschland auf 1,3 Billionen Kubikmeter. Zum Vergleich: 2010 wurden hierzulande rund 80 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht. Das im Gestein gebundene Gas würde bei gleichbleibendem Verbrauch also für rund 16 Jahre reichen – ohne Berücksichtigung von Importen, die es weiter geben wird.

Reicht das Gas noch für 600 Jahre?

Die USA könnten wegen des Schiefergasbooms sogar zum Gasexporteur werden – und Gazprom Konkurrenz machen, schätzt Bräuninger. Mangels Pipelines müsste das Gas verflüssigt und mit Schiffen nach Europa transportiert werden. Die Analysten der russischen Sberbank gehen davon aus, dass Schiefergas in etwa fünf Jahren beginnen könnte, russische Gaslieferungen zu verdrängen. Die Beratungsfirma Rusenergy vermutet, dass Gazprom deshalb weiter Zugeständnisse an seine europäischen Kunden machen muss, um keine Marktanteile zu verlieren. Preisdämpfend wirkte sich zuletzt auch der gesunkene Verbrauch in Europa aus.

Der Hamburger Energieexperte Bräuninger rechnet auch in den nächsten Jahren mit einer rückläufigen Preistendenz am weltweiten Gasmarkt. Bräuninger geht davon aus, dass in den nächsten Jahren weltweit neue Schiefergasvorkommen erschlossen werden. Die Reichweite der globalen Vorräte könnte sich dadurch deutlich verlängern – nach Bräuningers Schätzung „um einen Faktor zwischen zwei und zehn“. Statt für rund 60 Jahre könnte die Gasversorgung also für 120 bis 600 Jahre gesichert sein.

„Anders als bei Erdöl wird die Energiegewinnung mit Erdgas in den kommenden Jahrzehnten auch bei steigendem Bedarf nicht durch die Vorratslage limitiert sein“, schreiben die Experten der BGR. Europa befinde sich mit den Förderregionen in den GUS-Staaten, Nordafrika und dem Nahen Osten in einer komfortablen Situation und werde auch vom steigenden Angebot an Flüssiggas aus anderen Regionen profitieren – etwa aus dem arabischen Raum. Die Unternehmensberatung A.T. Kearney verweist in einer Studie auf den massiven Ausbau von Flüssiggasterminals zur Beladung von Tankschiffen.

Die Zeit der Ölpreisbindung ist bald vorbei

„Die Einigung von Eon und Gazprom ist ein Indikator für die Verschärfung des Wettbewerbs“, sagt Christian Growitsch vom Energiewirtschaftlichen Institut (EWI) der Universität Köln. Die strategische Position Deutschlands sei besser, als die verbreitete Angst vor der Marktdominanz Russlands vermuten lasse. „Wir haben ja nicht nur ein Lieferland“, sagt der Ökonom. Zwei Drittel des hierzulande verbrauchten Gases kämen aus Norwegen, den Niederlanden, Großbritannien sowie aus Deutschland selbst.

Growitsch erwartet, dass wegen der US- Schiefergasfunde für den Export in die USA vorgesehene Flüssiggasmengen künftig vermehrt nach Europa und Asien umgeleitet werden. Zudem würden sich die Märkte für Öl und Gas entkoppeln: „Die Bedeutung der Ölpreisbindung wird zurückgehen“. HWWI-Ökonom Bräuniger glaubt sogar, dass die wettbewerbsfeindliche Regelung komplett fallen könnte. Zugleich nehme die Bedeutung des Gas-Spotmarktes zu, sagt Growitsch. Für die kommenden Jahre geht er daher von häufigeren Preisänderungen aus – bei einer insgesamt eher rückläufigen Tendenz. „Davon werden auch die Endkunden profitieren – aber nur, wenn sie schneller und öfter ihren Lieferanten wechseln.“