Die Verbände kämpfen mit den Zulassungskriterien für die russischen Athleten. Bisher steht nur fest, dass in Rio ein großes russisches Team am Start sein wird – wie groß es genau sein wird, ist offen. Und wird möglicherweise erst vor dem obersten Sportgericht geklärt.

Rio de Janeiro - Wie orientierungslos eine wichtige Sportorganisation sein kann, zeigt das Beispiel des Handball-Weltverbands. Die IHF hat die Aufgabe, möglichst schnell zu prüfen, ob das russische Handball-Team der Frauen in Rio mitspielen darf. Oder ob die Ausschlusskriterien, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) aufgestellt hat, dagegen sprechen. Nun scheint es von den russischen Handballerinnen nicht genügend (unabhängige) Dopingtests zu geben, die ein Urteil erlauben würden. Also beschloss die IHF, flugs vertrauenswürdigende Fahnder zu entsenden. Nur wohin? Um den Aufenthaltsort des Teams zu erfahren, wurde ein Brief an den russischen Handball-Verband verfasst – mit der Bitte, umgehend mitzuteilen, wo die Trainingskontrollen schnellstmöglich vorgenommen werden könnten. Alle, die einen Funken Ahnung haben von Dopingpraktiken, können darüber nur fassungslos den Kopf schütteln.

 

Erstens dürfte jeder Athlet, der sich für Rio mit verbotenen Mittel tunen wollte, längst damit fertig sein. Zweitens sind Trainingskontrollen nur dann sinnvoll, wenn der Sportler nicht weiß, wann sie stattfinden. Drittens spricht es nicht für die Kompetenz eines Verbands, wenn er keine Ahnung davon hat, wo sich seine Rio-Starter auf das Turnier vorbereiten. Und viertens ist es ein erschreckender Beleg für das aktuelle Chaos im olympischen Sport, wenn derart überforderte Funktionäre die eminent wichtige Frage beantworten müssen, welche Athleten in Brasilien starten dürfen und welche nicht, weil sie Teil des staatlich gesteuerten Dopingsystems in Russland waren.

Ausbootung bei Gewichthebern und Ruderern

Auch der Gewichtheber-Verband fühlt sich aktuell nicht in der Lage, ein Urteil zu fällen. Es wurde vertagt, um zunächst gemeinsam mit dem IOC „Unklarheiten innerhalb der Vorgaben zu möglichen Nominierungen“ zu beseitigen. Schon einen Schritt weiter ist der Chef des russischen Olympia-Komitees. Alexander Schukow gab bekannt, dass Tatjana Kaschirina, 2012 in London Olympia-Zweite, und die WM-Dritte Anastasia Romanowa nicht starten werden. Insgesamt sind acht russische Athleten qualifiziert. Ziemlich abwegig finden übrigens Anti-Doping-Kämpfer die Idee, dass in einem Land, in dem so perfide betrogen wurde wie in Russland, überhaupt ein sauberer Gewichtheber zu finden sein könnte.

Der eine oder andere Weltverband scheint übrigens weniger große Schwierigkeiten damit zu haben, seine Athleten einer glaubwürdigen Prüfung zu unterziehen. Ausgebootet wurden etwa 22 der 28 russischen Ruderer. Grund ist vor allem die Manipulation im Moskauer Dopinglabor: Die Sportler seien gemäß der IOC-Vorgaben nicht ausreichend von vertrauenswürdigen Anti-Doping-Einrichtungen getestet worden.

Der Fecht-Weltverband dagegen erteilte am Mittwoch allen 16 qualifizierten Fechtern das Startrecht, was so überraschend nicht kam: Chef der FIE ist der russische Oligarch Alischer Burchanowitsch Usmanow. Ein Lob von Wladimir Putin dürfte ihm sicher sein. Der russische Präsident lud einen Teil seines Olympia-Teams vor dem Abflug nach Brasilien in den Kreml ein und nutzte die Gelegenheit, um dem IOC und dessen Boss Thomas Bach den Rücken zu stärken – schließlich steht sein guter Bekannter stark in der Kritik, seit er den kompletten Rio-Ausschluss der russischen Systemdoper verhindert hat. „Das IOC beteiligt sich ungeachtet des riesigen öffentlichen Drucks nicht an der Spaltung der olympischen Bewegung“, sagte Putin und bezeichnete die Dopingvorwürfe gegen russische Sportler und Funktionäre als „Kampagne“. Die Abwesenheit zahlreicher russischer Athleten sei für die Sommerspiele ein Verlust: „Die Qualität der Medaillen ist nun eine andere.“

Die Theorie vom russischen Rumpfteam ist bereits überholt

Das kann man natürlich auch ganz anders sehen. Zum Beispiel so wie Andrea Gotzmann. „Die Entscheidung des IOC ist ein Rückschlag für saubere Athleten“, sagte die Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada), „sie fragen sich, was eigentlich passieren muss, bevor harte Konsequenzen gezogen werden?“

Tatsache ist, dass Russland in Rio mit einem großen Team vertreten sein wird – auch ohne die komplett gesperrten Leichtathleten. Obwohl einige Fachverbände noch keine Entscheidung getroffen haben, zeichnet sich ab, dass es auf jeden Fall mehr als 200 Sportler sein werden. Überholt ist damit die Theorie vom russischen Rumpfteam, die Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, am Montag aufgestellt hat. Zumal der eine oder andere abgelehnte Russe angekündigt hat, vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) seine Teilnahme einklagen zu wollen. Und sollte der Ausschluss auf dem IOC-Kriterium gründen, nur Russen starten zu lassen, die noch nie wegen Dopings gesperrt waren, sind die Erfolgsaussichten in Lausanne gar nicht so schlecht. Denn 2011 urteilten die Cas-Richter, dass Sportler für ein Vergehen nur einmal bestraft werden können. Wer seine Dopingsperre abgesessen hat, ist danach wieder startberechtigt. Auch bei Olympischen Spielen. Sollte dieses Urteil Bestand haben, wäre das Chaos vollends perfekt.