Am 30. November 2010 ging die Schlichtung zu Stuttgart 21 zu Ende. Fünf Jahre danach will Grün-Rot im Gemeinderat einen neuen Faktencheck über die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs. Doch wie soll der aussehen?

Stuttgart - Fünf Jahre ist es jetzt her, dass der CDU-Politiker Heiner Geißler im Stuttgarter Rathaus mit seine Forderung nach einem Weiterbau unter bestimmten Prämissen den Schlusspunkt unter die Schlichtung zu Stuttgart 21 gesetzt hat. Anfang kommenden Jahres könnte es – dem Baufortschritt mit ausgegebenen 1,5 Milliarden Euro zum Trotz – eine Fortsetzung der Fachdiskussion zwischen Befürwortern und Kritikern über Gleispläne, Weichen- und Signalsteuerungen geben: Grün-Rot im Gemeinderat hält als Reaktion auf die anhaltende Kritik von Projektgegnern einen erneute Faktencheck mit der Bahn für sinnvoll. SÖS-Linke-Plus setzt allerdings voraus, dass – anders als 2010 – die Bahn dann auch bereit sein müsse, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Fraktionssprecher Hannes Rockenbauch erachtet einen vorübergehenden Baustopp für zwingend.

 

Mehr als 20.000 Personen haben in diesem Jahr in einem Bürgerbegehren die Meinung vertreten, Stuttgart 21 sei nicht ausreichend leistungsfähig und müsse aus diesem Grund trotz des Baufortschritts beendet werden. Ihr Ansinnen verkürzten sie auf die Gleichung „32 ist weniger als 38“ – anhand von öffentlichen Unterlagen, von denen viele erst nach der Schlichtung bekannt geworden seien, sei nachweisbar, dass der Tiefbahnhof nicht mehr als 32 Züge in der Spitzenstunde verkraftet, während aktuell 38 im Kopfbahnhof halten. Die laut Gegner im Anhang des Finanzierungsvertrags von 2009 versprochene Steigerung der Kapazität um 50 Prozent – die Legitimation für die Milliarden-Investition schlechthin – sei durch die Tieferlegung natürlich obsolet.

Der Gemeinderat war diesem Argument auf Empfehlung des von der Stadt beauftragten Rechtsanwalts Christian Kirchberg jedoch mehrheitlich nicht gefolgt. Mit der Stimme von OB Fritz Kuhn (Grüne), der in diesem Fall allerdings gegen seine Parteifreunde stimmte, war auch eine Anhörung der Vertrauensleute im Gremium gescheitert. Gegen die Ablehnung des Bürgerbegehrens haben diese dann Beschwerde eingelegt. Der Einspruch wird derzeit vom städtischen Rechtsamt geprüft. Bei einer erneuten Niederlage bleibt den Bürgern noch die Überprüfung durch das Regierungspräsidium Stuttgart und danach eine Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Kritik am Rechtsanwalt der Stadt

Ungeachtet dessen fordert die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-Plus, die Stuttgart 21 seit Jahren vehement bekämpft, dass der Gemeinderat den Ablehnungsbescheid zurück nimmt und ihn erneut prüft – dieses Mal aber „durch qualifizierte und neutrale Gutachter“. Anwalt Kirchberg wird vorgeworfen, so viele offensichtliche Fehler gemacht zu haben, „dass ihr Zustandekommen aufzuklären ist“. Die Stadt solle sogar prüfen, ob dessen Honorar zurück gefordert werden könne. Kirchberg hatte die Argumente der Gegner als „unsubstantiiert, inhaltlich und zeitlich vollkommen unbestimmt“ und damit als „spekulativ“ bezeichnet. Das Bürgerbegehren sei nur „ein Schuss ins Blaue“.

Vor einer erneuten Entscheidung sollten die Vertrauensleute und deren Berater Christoph Engelhardt angehört werden, die in unzähligen Unterlagen Belege und Aussagen gefunden haben wollen, die ihre Haltung stützten. Die Fraktion SÖS-Linke-Plus vermutet sogar ein bewusstes Fehlverhalten der Stadtverwaltung und fordert deshalb Einsicht in alle mit Kirchbergs Prüfung verbundenen Dokumente. Auch der E-Mail-Verkehr solle mithilfe des Umweltinformationsgesetzes offen gelegt werden, zudem alle Ansprechpartner und Organisationen genannt werden, die mit der Erstellung des Gutachtens zu tun gehabt hätten.

Grüne und Genossen sind sich einig

Den neuerlichen Faktencheck hätte SÖS-Linke-Plus gerne vom Gemeinderat beschlossen und – zur Vermeidung einer Showveranstaltung – von einem „erfahrenen und unabhängigen Gruppen-Moderator“ geleitet. Die Forderung erfolgt aus gutem Grund, denn Grüne und SPD planen, diese Veranstaltung ohne die S 21 als einzige ablehnende Fraktionsgemeinschaft zu organisieren. Man habe sich mit den Genossen auf eine Konzeption verständigt, erklärt Grünen-Stadtrat Jochen Stopper. Aus Zeitgründen sei man übereingekommen, den Faktencheck erst Anfang kommenden Jahres zu veranstalten.

Die Freien Wähler halten die Klärung der Frage, ob es für 6,8 Milliarden Euro einen ausreichend großen Stuttgart Bahnhof gibt oder ein Debakel wie beim zu gering dimensionierten Flughafen in Berlin droht, für etwas „Ewiggestriges“. Stuttgart 21 werde dadurch „behindert und unnötig in Misskredit“ gebracht, meint der Fraktionschef Jürgen Zeeb.