Die Regionalversammlung nutzt die Kaufoption für die neuen S-Bahnen vom Typ ET 430 – obwohl das Desaster mit den Schiebetritten nicht ausgestanden ist.

Stuttgart - Es ist gerade vier Wochen her, als den meisten Regionalräten im Verkehrsausschuss geradezu der Atem stockte vor so viel Chuzpe. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte Michael Clausecker, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Bombardier Transportation GmbH, erklärt, dass der neue S-Bahn-Typ ET 430 frühestens in zwei, drei Jahren mit funktionierenden Schiebetritten fahren werde. So lange werde Entwicklung, Erprobung und Einbau neuer Tritte dauern, nachdem die bisherigen sich als so störanfällig erwiesen, dass sie im Frühjahr 2013 für eine beispiellose Pannenserie gesorgt und der S-Bahn einen immensen Imageschaden zugefügt hatten.

 

Doch so groß der Ärger der Regionalräte über Clauseckers Aussagen auch gewesen sein mochte, am Mittwoch war davon nichts mehr zu spüren. Einstimmig stellten sie in der letzten Sitzung der 2009 gewählten Regionalversammlung die Weichen dafür, zehn neue ET 430 bei Bombardier für einen Preis von zusammen rund 80 Millionen Euro zu kaufen. Allerdings ist das Geschäft, das über die Bahn AG abgewickelt wird, noch nicht perfekt: Just beim Schiebetritt sehen Bahn und Region noch Verhandlungsbedarf mit dem Zughersteller, der im Juli ein erstes Angebot unterbreitete, das als unzureichend angesehen wird. Weil das Geschäft aufgrund der bestehenden Verträge mit Bahn und Bombardier aber in den nächsten Wochen abgewickelt werden muss, erhielt die Regionaldirektorin Nicola Schelling mit der Entscheidung quasi auch die Vollmacht, nach Rücksprache mit den Fraktionen die Züge zu kaufen, wenn bestimmte Punkte erfüllt sind. Die 80 Millionen Euro werden aus Rücklagen und durch Kredite gedeckt.

Schelling erklärte, dass Region und Bahn für den S-Bahnbetrieb die zehn neuen Wagen brauchen würden. Die Fahrgastzahlen hätten sich von 2009 bis 2013 um 15 Prozent erhöht. Neue Strecken, wie die Verlängerung der S 2 nach Neuhausen, der Einsatz längerer Züge und die Ausweitung des 15-Minuten-Takts erhöhten den Bedarf an Wagen. Zudem sollen auf Strecken mit Wende-Haltestellen zusätzliche Züge zum Einsatz kommen. „Durch entspanntere Wendezeiten ließen sich mögliche Verspätungen vermeiden oder sie würden abgebaut“, sagte Schelling, „das ist ein Beitrag zur Pünktlichkeit der S-B ahn.“

Regionaldirektorin Schelling: „Sehr enges Zeitfenster“

Schelling begründete die Bestellung bei Bombardier damit, dass sich nur mit baugleichen Fahrzeugen „die größt mögliche Flexibilität und Fahrplanqualität erzielen lassen“. Da die Serienzulassung für die ET 430 im Mai 2017 erlischt, müssten die Fahrzeuge bis dahin in Betrieb genommen sein. Diese Frist und die bestehenden Verträge ergäben ein „sehr enges Zeitfenster“ für die Bestellung, so dass während der Sommerpause agiert werden müsse. Allerdings machte sie auch klar, dass sie „bei Bombardier ein großes Fragezeichen“ sehe. „Bisher fällt es mir schwer zu erkennen, dass der Hersteller seine Verantwortung für die Funktionsfähigkeit trägt“. Gerade „bei der Haftungsthematik in Sachen Schiebetritt wollen wir keinen findigen Rückzieher durch die Hintertür“. Deshalb seien weiteren Verhandlungen nötig, bevor es zu einem Abschluss kommen könne. „Wir werden das nicht zu jeder Kondition tun“, sagte Nicola Schelling.

Wenn die zehn neuen ET 430 in den Jahren 2016 und 2017 wie geplant geliefert werden sollten, dann steigt der Wagenbestand von 147 auf 157 an – 60 vom Typ ET 423 und 97 vom Typ ET 430.

Eigentlich sollten die ersten 430er bereits im Frühjahr 2012 fahren. Wegen Verzögerungen bei der Entwicklung und Zulassung rollten die Züge aber erstmals Ende April 2013. Nach den Pannen wurden die Wagen von Anfang Juli an nicht mehr eingesetzt. Seit Mitte Dezember 2013 fahren sie mit eingefahrenen Schiebetritten. Bis zum Herbst will Bombardier alle 87 bisher bestellten ET 430 geliefert haben. Sie verkehren auf den Linien S 1, S2 und S 3.