Für sie muss es eine S-Klasse von Mercedes sein: Im S-Klasse-Club Württemberg sammeln sich die Fans der Luxuslimousinen.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - Anfang der 1980er Jahre erreicht Leonhard Eser den Punkt in seinem Leben, an dem es eine S-Klasse sein muss. Der selbstständige Klimaingenieur beschließt, einen guten Teil eines stolzen Honorars für einen Mercedes 280 SE auszugeben. Das Modell der Baureihe W126 stammt aus dem Sindelfinger Werk und kostet 52 000 Mark. Eine der ersten Fahrten führt Leonhard Eser von seinem Wohnort Tamm zum Mercedes-Veredler AMG nach Affalterbach. Dort bekommt der serienmäßige Neuwagen für ein paar weitere Tausender ein Fahrwerk mit elektrisch geregelten Stoßdämpfern verpasst. Wenn schon, denn schon, denkt Eser.

 

Mittlerweile ist Leonhard Eser 86, und auf dem Tacho seiner taigabeigen S-Klasse stehen 412 000 Kilometer. In den vergangenen 32 Jahren ist er nur ein einziges Mal mit dem Auto liegen geblieben: Auf dem Weg nach Lech am Arlberg ging ein Verteilerfinger kaputt. Ansonsten läuft der Sechszylinder so zuverlässig wie die Rolex an Esers linkem Handgelenk. „Ich habe mit dem Mercedes nur Gutes erlebt“, sagt er und berichtet von Urlaubsfahrten nach Apulien und in die Normandie. Auch seine Gattin Elisabeth durfte aufs Gaspedal treten, gar kein Thema. „Wenn der Wagen in Bewegung ist, merkt man ihm seine Größe nicht mehr an. Der lässt sich bei 160 auf der Autobahn mit einem Finger lenken.“

Die S-Klasse ist mehr als ein Automobil. Sie ist ein Synonym für gediegenen Luxus und technischen Fortschritt, die Daimler-Werbeleute sprechen unbescheiden vom „besten Auto der Welt“. Die S-Klasse ist aber auch eine Projektionsfläche für die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der Bundesrepublik. Jahrzehntelang ließen sich Präsidenten, Kanzler und Vorstandsbosse ausschließlich in dem großen Mercedes chauffieren. Was für die Mächtigen ein rollender Arbeitsplatz war, avancierte in der militanten linken Szene zum automobilen Feindbild, zur Bonzenkarre schlechthin. S-Klassen waren Zielscheiben des RAF-Terrors: 1977 wurde der damalige Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer aus einem Mercedes 450 SEL entführt, zwölf Jahre später kam der Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen in einem 500 SEL bei einem Attentat um.

Der Clubchef ist ein Daimler-Verkaufsprofi

Jahrestreffen des S-Klasse Clubs Württemberg in Stuttgart: auf dem Hof der Bäckerei Sailer ist eine Ahnengalerie aufgereiht. Ganz links parkt ein bestens erhaltenes Exemplar der ersten von Mercedes-Benz offiziell so bezeichneten S-Klasse – die Baureihe W116 kam 1972 auf den Markt. Ganz rechts: das im vergangenen Jahr vorgestellte aktuelle Modell, das in der Technikersprache das Kürzel W222 trägt. Und mittendrin steht der S-Klasse-Clubchef Oliver Krenz, ein freundlicher Mann von Mitte 30 mit lichtem Haar und profundem Fachwissen.

Krenz wurde dort geboren, wo Gottlieb Daimler seine legendäre Werkstatt hatte: in Cannstatt. Nach einer Schlosserlehre bei Mercedes studierte er an der Hochschule in Esslingen Technische Betriebswirtschaft. Heute ist Krenz in der Stuttgarter Mercedes-Niederlassung für den Vertrieb von Fahrzeugen mit Brennstoffzellen- und Elektroantrieben zuständig. Privat bevorzugt er jedoch traditionelle S-Klassen.

Vermutlich ist es naiv anzunehmen, dass ein Daimler-Verkaufsprofi auf die Frage nach dem besten Mercedes aller Zeiten eine eindeutige Antwort gibt. Stattdessen zählt Krenz zunächst die Vorzüge des aktuellen Topmodells auf: Im Innern verschmelzen zwei Bildschirme mit jeweils mehr als 30 Zentimetern Diagonale zu einem airbusartigen Cockpit. Gegen Aufpreis gibt es Sitze mit Hot-Stone-Massage oder einen Duftspender für das Handschuhfach. Ein Heer neuer Assistenzsysteme gewährleistet, dass der Fahrer quasi nur den groben Kurs vorgeben muss und die Elektronik den Rest erledigt. Und die „Magic Body Control“ lässt das Fahrwerk millisekundengenau auf Straßenunebenheiten reagieren. Man schwebt wie auf einem fliegenden Teppich. „Jede neue S-Klasse ist immer die beste S-Klasse“, beschließt Krenz seinen Vortrag. „Aber persönlich mag ich die Baureihe W126 am liebsten.“

Dekadentes Dickschiff?

1979 wurde Krenz’ Lieblingsgeneration geboren, sie steht für eine Zeitenwende. Der damalige Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco ersetzte die verchromten Stoßstangen des Vorgängermodells durch Kunststoffschürzen, die weit in Richtung Fahrzeugboden herunterreichten und sich mit einem Flankenschutz zu einer umlaufenden Plastikbauchbinde vereinten. Die Karosserie bot dem Wind wenig Angriffsfläche und war dennoch, wie Krenz meint, „unheimlich elegant“. Hinzu kamen die technischen Revolutionen unter dem Blech: Airbags, Antiblockiersystem, Dreiwege-Katalysator. Mittlerweile sind Exemplare dieser Baureihe mindestens 22 Jahre alt, „aber noch immer problemlose Alltagsfahrzeuge“, wie Oliver Krenz versichert: „Und man bekommt alle Ersatzteile im Original.“

Obwohl der Weltmarkt gewachsen ist, hat es Mercedes nie wieder geschafft, so viele S-Klassen zu produzieren wie vom W126, der sich 818 036 Mal verkaufte und damit der meistgebaute Luxuswagen der Automobilgeschichte ist. Neue Fahrzeuggattungen sind entstanden, die den klassischen Komfortlimousinen Käufer abspenstig machten, etwa die hochbeinigen SUVs. Außerdem bekam die S-Klasse ernsthafte Konkurrenz: der BMW 7er und der Audi A8 machen dem einstigen Platzhirsch seinen Rang längst streitig. Und schließlich haben die Mercedes-Konstrukteure Anfang der 1990er Jahre einen kapitalen S-Klasse-Bock geschossen.

Harald Pfinder ist stolz auf das Spitzenmodell, das den Daimler-Konzern in eine tiefe Krise stürzte. Als die Baureihe W140 vor 24 Jahren auf dem Markt kam, wurde sie als dekadentes Dickschiff verspottet. Die S-Klasse war derart gewachsen, dass sie weder in eine Normgarage noch auf den Autozug nach Sylt passte. Die Grenze der gesellschaftlichen Akzeptanz war überschritten, die Verkaufszahlen brachen im umweltbewussten Deutschland ein. Zu Unrecht, wie Harald Pfinder meint: „Der W140 war das erste Auto, bei dem schon während der Produktion darauf geachtet wurde, dass sich die Teile später einmal recyceln lassen. Insofern ist es ein ökologisch inspiriertes Fahrzeug.“

Monument der Ruhe und Klarheit

Der smaragdschwarze S 600 des Stuttgarter Allgemeinmediziners ist 5,23 Meter lang und wiegt 2,3 Tonnen. Sein Zwölfzylindermotor leistet 396 PS, der Verbrauch liegt zwischen 13 Litern Super bei konstant 120 auf der Autobahn und 20 Litern im Stadtverkehr. Klingt eher nicht nach praktiziertem Umweltschutz. „Wissen Sie“, sagt Pfinder, „im Alltag fahre ich Rad oder Smart.“ Doch in der Freizeit sollte man sich eben mit Dingen beschäftigen, die Spaß machen. Eine Spritztour mit dem, wie Pfinder sagt, „qualitativ hochwertigsten Mercedes, der jemals gebaut wurde“, sei genau das Richtige, um die Seele baumeln zu lassen. Zumal, wenn der V-12 unter der Motorhaube wie eine satte Katze schnurre. „Bei der Entwicklung des W140 gab es noch keinen Kostendruck“, meint Pfinder. „Damals durften die Ingenieure einfach alles verwirklichen, was machbar war.“ Ist das beim aktuellen Modell anders? „Natürlich. Heute zählt vor allem die Rendite. Und die Form folgt nicht mehr der Funktion, sondern flüchtigen Moden.“

S-Klasse ist eben nicht gleich S-Klasse. Selbst die Mitglieder des S-Klasse Clubs Württemberg finden nicht jedes Fahrzeug attraktiv, das am Kofferraumdeckel den heilversprechenden Chrombuchstaben trägt. Auf dem Jahrestreffen wird über den Breitmaul-Kühlergrill, die barocken Rundungen im Blechkleid und die überbordenden Sicken der neuen Baureihe diskutiert. Von Weitem ähnle diese automobile Skulptur einem Pottwal, lästert einer.

Der 280 SE des Tammer Klimaingenieurs Leonhard Eser wirkt hingegen wie ein Monument der Ruhe und Klarheit. Kein unnötiger Zierrat stört die schöne Sachlichkeit an dem 32 Jahre alten Mercedes. Der Eindruck setzt sich im Innenraum fort, der viel weniger enthält als heutzutage üblich, aber alles umfasst, was zum entspannten Autofahren nötig ist.

Leonhard Eser sagt, er werde seine treue Limousine niemals hergeben, obwohl er nur noch selten mit ihr unterwegs sei. Für längere Fahrten hat sich der Ruheständler kürzlich einen Mercedes GLK 350 gekauft. Der SUV hat einen Allradantrieb, schafft 240 Spitze und ist trotz der hohen Motorleistung recht sparsam. Er kostete dreimal so viel wie 1982 die taigabeige S-Klasse.