Das älteste Puppentheater der Stadt, das „Theater am Faden“, wird 45 Jahre alt und feiert das mit seinem Publikum.

S-Süd -

 

Die Fäden hat sie fest in der Hand – seit fast fünf Jahrzehnten: Für Helga Brehme ist Puppenspielen nicht nur Beruf, sondern Berufung. Ihre Marionettenbühne im Stuttgarter Süden, das „Theater am Faden“ an der Hasenstraße 32, feiert diesen Sommer seinen 45. Geburtstag. Die Festwoche ist bestückt mit einer Eigenproduktion, Konzerten, Stücke tschechischer und russischer Gäste.

„Wenn ich spiele, dann fühle ich mich lebendig!“ Brehmes Augen leuchten, wenn sie von ihren Geschöpfen spricht. Viele hat sie selbst entworfen und gebaut. „Ich bin Dienerin der Puppen: Sie haben Charakter.“ Und sie zeugten von Symbolik, könnten Teile des menschlichen Wesens besser darstellen als Menschen. „Jede Puppe steht für etwas, ist einzigartig, nie perfekt, reagiert anders, unerwartet, führt ein Eigenleben, auf das ich eingehen muss. Jedes Spiel ist neu.“

Märchen aus Kasachstan

Ihre 77 Jahre sieht man Brehme nicht an. Leidenschaftlich beschreibt sie die 44 Figuren des Stückes „Ein Garten in der Wüste“. Das kasachische Märchen, eine Parabel um den Lohn für Großzügigkeit, gute Taten und den Wert der Freiheit, mit märchenhafter Live-Musik des Westafrikaners Bakary Koné auf Balafon, Ngoni, Djembe-Trommel und Regenmacher zeigt sie zur Festwoche nochmals. Mit dem Sankt Petersburger Regisseur Sergey Stoljarov inszenierte sie es, die opulente Kulisse kreierte sie mit der Pädagogin Susanne Beck-Jankowski und dem Bildhauer Reinhard Siecke.

Letzterer und Brehme bauten wiederum die Protagonisten des Stücks. In die Puppen flossen Formen kasachischer Skulpturen ein. „In der Körpermitte drehbar können sie allein mit verschiedenen Positionen unterschiedliche Stimmungen ausdrücken“, erklärt die quirlige Dame, die an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart studierte, dann an die Puppenspielhochschule Prag ging. Dort lernte sie das alte böhmische Handwerk des Schnitzens, in den politischen Wirren der 60er-Jahre, als der Prager Frühling in der Luft lag.

Verwinkelte Kleinod

Zurück in Stuttgart gründete sie im Jahr 1972 im Stadtteil Heslach mit ihrem Mann Karl Rettenbacher etwas Neues: eine Marionettenbühne an der Böblinger Straße. Schwer war es, als das Paar mit seinen beiden Töchtern und vielen Puppen 1989 umziehen musste. Aber schließlich habe ihnen die Stadt das Haus in der Hasenstraße angeboten, erinnert sich Brehme.

Und dieses verwinkelte Kleinod – in das älteste Puppentheater Stuttgarts passen gerade 60 Zuschauer – ist schon für sich einen Besuch wert! Märchenhaft ranken sich außen allerlei Pflanzen um das Schild „Theater am Faden“, innen folgt ein verwachsener Vorgarten, ein Spielzimmer mit Karussell samt Holzpferden, ein überbordender Kostümfundus mit Gewändern, Hüten und Masken orientalischen, europäischer und anderen Stils.

Wer will, darf sich für die Vorstellungen verkleiden. Jedes Zimmer atmet Geschichten und flüstert: Theater ist Leben – Helga Brehmes Leben. Sie führt es alleine seit dem Tod ihres Mannes 2007. Mit auf der Bühne ist öfter ihre Tochter Franziska Rettenbacher.

Sie half auch, einen neuen Kunstorts Brehmes zu renovieren: An der Hasenstraße 7 zeigt die Künstlerin erstmals zur Festwoche eine Ausstellung: das Lebenswerk der legendären tschechischen Puppenspieler Vera Rícarová und František Vítek, die sie seit ihrer Prager Zeit kennt. Die Theaterpuppen, Szenenbilder, Entwürfe und Zeichnungen stammen aus der Sammlung des Mährischen Landesmuseums Brünn sowie Privatbesitz. Sie sind Vorboten: „Ich habe so viele Puppen gesammelt, sie brauchten ein Zuhause“, erklärt Brehme zu ihren zusätzlichen Räumen. „Es ist ein Ort für Ausstellungen, aber auch allerlei Aktionen künstlerischer Gäste.“

Tschechische Ikone

Die meisten Stücke des Theaters am Faden richten sich an große und kleine Kinder ab etwa vier Jahren und Erwachsene. Das gilt auch für die Festwoche „45 Jahre Theater am Faden“ vom 9. Juni bis 16. Juni. In der Ausstellung Hasenbergstraße 7 spielt ŘVera Ricarová Szenen aus dem surrealen Marionettentheater „Piškanderdula“. Helga Brehme nennt die Prager Puppenspielerikonen ŘRícarová und František Vítek als ihre wichtigsten Lehrmeister. Im Theater am Faden, Hasenbergstraße 32, indes zeigt das Theater Skomorokh, Tomsk, das russische Märchen „Jegor aus dem Wollknäuel“ sowie „Petruschka“. Das Theater Lukomorye aus der Stuttgarter Partnerstadt Samara gastiert mit „Städtchen in der Tabaksdose“, das Theater Kukfo Sankt Petersburg mit „Die rubinrote Blume“. Das Theater Tjen, Moskau, gibt die Tschaikowksi-Oper „Jolanta“ mit zwölf Puppen. Sängerin Natalia Barannikova lädt zu einem Liederabend und einem Jazzfrühstück unter dem Motto „Das russische Koffergrammophon“. Ein indisches Frühstück mit Klängen des Nomadenvolks Kalbeliya bieten die Musiker Lom Nath, Arbaz Khan und Shahid Khan.