Das Kulturdenkmal Leibnizstraße 83 wird einem Neubau weichen. Im Sommer war das Wohnhaus in die Liste der Kulturdenkmale Baden-Württembergs aufgenommen worden. Dennoch ist im Oktober die Abrissgenehmigung für das 1927 errichtete Wohnhaus des Stuttgarter Architekten Hans Zimmermann erteilt worden.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Das Kulturdenkmal Leibnizstraße 83 wird einem Neubau weichen. Im Sommer war das Gebäude in die Liste der Kulturdenkmale Baden-Württembergs aufgenommen worden. Die Begründung: Die Architektur sei „von den Ideen des Neuen Bauens“ beeinflusst und weise zudem expressionistische Stilelemente auf. Dennoch wurde im Oktober die Abrissgenehmigung für das 1927 errichtete Wohnhaus des Stuttgarter Architekten Hans Zimmermann erteilt.

 

Beispielhaftes, gut erhaltenes Zeugnis

Das Wohnhaus in Holzbauweise mit großem Garten hatte sich seit seiner Errichtung im Besitz der Familie Gugel befunden. Bis zu ihrem Tod 2012 hatte Magdalene Gugel, die Tochter des Bauherren, darin gewohnt. In ihrem Testament hatte sie verfügt, dass das Haus erhalten werden soll. Doch Anfang 2014 verkaufte ein Erbe die Immobilie an die Projektentwicklerfirma Planquadrat in Bad Cannstatt. Damals war das Gebäude noch kein Kulturdenkmal, und die Projektentwickler planten, das 900 Quadratmeter große Grundstück mit einem Mehrfamilienhaus neu zu überbauen. Im Frühsommer reichte die Firma ihr Baugesuch für fünf großzügige Drei- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen ein. Doch nun wiesen Nachbarn das Denkmalamt auf das architekturhistorisch bedeutsame Bauwerk hin. Die Behörde merkte auf, denn ein ähnliches Wohnhaus, das Hans Zimmermann um dieselbe Zeit ebenfalls in Holzbaufertigweise in Degerloch erbaut hatte, steht schon lange unter Denkmalschutz. Die Denkmalpfleger des Regierungspräsidiums nahmen das Haus in der Leibnizstraße in die Liste der baden-württembergischen Kulturdenkmale auf und begründeten dies mit der Beispielhaftigkeit und Authentizität des Bauwerks: „Das Wohnhaus Gugel ist, wie auch das von Zimmermann entworfene Haus Schottländer in Stuttgart-Degerloch, ein beispielhaftes Zeugnis aus den Anfängen des Fertighausbaus. Es zählt zu den innovativen Holzbauten, die nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem in den 1920er und 1930er Jahren den Höhepunkt ihrer technischen Entwicklung und Verbreitung erfuhren.“

Hervorgehoben wurde eigens sein ungewöhnlich guter Erhalt: „Der Überlieferungszustand von Haus Gugel ist, insbesondere was das Innere des Hauses betrifft, außerordentlich gut und ungewöhnlich vollständig. Das trifft nicht nur für den Grundriss insgesamt und die expressionistisch beeinflusste Innenraumgestaltung des Wohnbereichs zu, sondern für alle Räume“, stellte das Landesamt für Denkmalpflege fest. Aufgelistet wurden Details wie Wand- und Deckenverkleidungen, Fußböden, Türen, Lampen, Doppelfenster mit originalen Beschlägen, Einbauschränke, die Badezimmerausstattung sowie die originale Einrichtung der Küche.

Kein Bedarf an großen Häusern

All das sei ihnen beim Kauf nicht aufgefallen, versichern die Architekten von Planquadrat, wo man mit den Planungen fortfuhr. Eine Gruppe von Nachbarn der Leibnizstraße 83 mühte sich den Sommer über vergebens, einen Interessenten für das Haus zu finden, der es Planquadrat wieder abkaufe und erhalte. Herbert Medek, Leiter der Unteren Denkmalbehörde in Stuttgart, überrascht das nicht. „Das ist ein Bau, der für eine Großfamilie gedacht ist. Doch in 82 Prozent der Stuttgarter Haushalte leben gar keine Kinder, 52 Prozent sind Singlehaushalte.“ Wer also solle so ein Haus kaufen? Dass man allerdings ein so gut erhaltenes Baudenkmal gleich komplett abreiße, sei „eher die Ausnahme“. Die einzige Denkmalpflege, die man dem Haus Gugel jetzt noch angedeihen lässt, ist seine umfassende Dokumentation vor dem Abbruch.

Federführend ist hier das Landesdenkmalamt. Eine fotografische Dokumentation wurde bereits angefertigt, teilt die Behörde mit. Laut Auflagen müssen unter anderem noch ein Bauaufmaß gezeichnet werden, eine bauhistorische Untersuchung von Konstruktion und Bauweise samt Detailzeichnungen sowie die Analyse verwendeter Materialien erfolgen. Ferner müssen der Gesamteindruck von außen festgehalten und der Ausstattungsbestand erfasst werden. „Wie lange es dauert, bis eine Dokumentation rund ist, kann kaum angegeben werden. Wichtig ist, dass die Auflagen erfüllt werden, dass die Dokumentation sorgfältig und umfassend ist“, erklärt Nadine Hilber von der Pressestelle des Regierungspräsidiums.

Ist die Dokumentation fertig, prüfe das Landesamt für Denkmalpflege erneut, erst danach gibt’s „von uns das grüne Licht zum Abriss“. Papiere und Dateien sind dann alles, was vom Denkmal bleibt. Sie werden archiviert und bei Bedarf der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt.