Des einen alter Kram ist des anderen Errungenschaft: Die Gebrauchswarenvermittlungsstelle ist eine Institution in der Stadt. Hier haben auch Wohlhabende nach Schnäppchen geschaut. Ende Mai wird Helmut Schilling den Betrieb schließen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart - Die pinkfarbene Charles-Jourdan-Tasche für 68 Euro hängt an einem Kleiderbügel, gleich daneben stehen „allerlei Raritäten“, auf die ein Schild mit rotem Pfeil hinweist. Porzellanfiguren, Perücken, Puppenstuben, Pfannen – Waren, wohin man blickt. „Ein Phänomen, dieser Laden“, sagt einer, der es wissen muss: der Inhaber Helmut Schilling. Generationen von Stuttgartern haben an der Silberburgstraße 93-95 die Küchenerstausstattung oder mit ein wenig Glück ein echtes Biedermeier-Schmuckstück erworben. Inmitten von Tand und teuren Stücken trafen Arbeitslose auf Millionäre, die Kunden fanden Dinge, von denen sie oft gar nicht wussten, dass sie sie suchen. „Hier macht das Einkaufen einfach Spaß“, sagt Marija Markovic, eine langjährige Kundin. „Mir wird das Geschäft fehlen.“

 

Solche Klagen hört Helmut Schilling häufig. Ende Mai muss er die Gebrauchswarenvermittlungsstelle (GV) schließen. Der Vermieter, das Landeswohlfahrtswerk, braucht mehr Platz für seine Altenpflegeschule und hat ihm die Räume gekündigt. Was bleibt, zumindest bis Ende 2017, ist die Kunsthandlung Schilling, die der Antiquitätenhändler in der ehemaligen Küchen- und Waschmaschinenabteilung der GV betreiben will. Vielleicht funktioniert er auch sein Lager ein paar Häuser weiter wieder zu einem Geschäft um, seine sieben Vollzeitkräfte wolle er möglichst halten, sagt er.

„Gerade die Ärmeren werden die GV vermissen“

Ursprünglich war der Trödelladen an der Silberburgstraße eine karitative Einrichtung: Bis Ende 1975 unterhielt das Wohlfahrtswerk hier eine gemeinnützige Verkaufsstelle (siehe „Geschichte des Geschäfts“). Die Kunden stammten meist aus kleinen Verhältnissen. „Uns Kindern war es peinlich, wenn unsere Mutter Kleidung bei der Mittelstandshilfe gekauft hat“, erinnert sich eine 54-jährige Stuttgarterin.

Seit 1976 wird das Geschäft kommerziell geführt, vor acht Jahren hat Helmut Schilling es übernommen. Er verlieh dem Laden seine ganz persönliche Note. Die beschreibt er so: „Kurioses, Chaos, mehr Antiquitäten.“ Ihn schmerzt es, dass bald Schluss sein soll mit der GV. So viel hat er hier erlebt. Menschen trennten sich von ihren Besitztümern und kauften sie später zurück – in dem Glauben, sie würden etwas Neues erstehen. „Gerade die Ärmeren werden die GV vermissen“, ist Schilling überzeugt. Andererseits ist er 60 Jahre alt, „und ich schaff’ 14 Stunden am Tag, auch samstags und sonntags“.

Die goldenen Zeiten für große Gebrauchtwarenläden sind ohnehin vorbei. Schilling stieg schon vor Jahren auf den An- und Verkauf um, weil sich das Kommissionsgeschäft nicht mehr rentierte. Die Waren standen einfach zu lange im Laden herum. „Früher war alles in zwei, drei Wochen verkauft“, erzählt der gelernte Industriebuchbinder, der schon als Zwölfjähriger im Sperrmüll herumkroch. Selbst eine Tüte mit rostigen Nägeln habe man für 1,50 Mark an den Mann gebracht. Bevor Ikea Deutschland eroberte, blieb jungen Paaren oft nichts anderes übrig, als die Erstausstattung aus zweiter Hand zu erwerben. „Die gebrauchten Schlafzimmermöbel waren vielleicht nicht so schick, aber für 800 Mark dann doch nicht so schlecht“, sagt der gebürtige Stuttgarter schmunzelnd.

Schilling beklagt den Preisverfall

Durch die Billigmöbelhäuser und erst recht durch Ebay und andere Online-Plattformen hat sich der Markt radikal gewandelt. „Ich muss ständig Waren erwerben, die Sinn machen“, klagt der Sammler. Der Preisverfall sei enorm – und dann sei da ja noch die schwäbische Mentalität. Brachte ein Gemälde von Karl Schickhardt einst 800 bis 1400 Mark, sind es heute 100 Euro. Für ein Seltmann-Weiden-Kaffeeservice erhält Schilling 20 statt früher 150 Euro. Gut, einen Eames Lounge Chair wird er sofort zu einem guten Preis los, aber solche Designstücke sind schwer zu bekommen. Bei Militaria ist die Nachfrage ebenfalls gestiegen, doch mit Orden und Uniformen handelt der 60-jährige Inhaber nicht so gern.

Jugendstil, Art déco, Bauhaus – das sind seine Leidenschaften. Und altes Spielzeug. Ein Glücksgriff war die etwa 100 Jahre alte Puppenstube, die ihm eine ältere Dame anbot.

Ob das gute Stück bis Ende Mai für 560 Euro über den Ladentisch wandert, weiß Helmut Schilling nicht. Die Überschussware will er einlagern und im Internet veräußern, „unter dem saublöden Namen Schnack-Schnick“, sagt er lachend. Ebay ist für ihn ein wichtiges Standbein geworden, auch wenn er das nur widerwillig zugibt. Dort werden Kunden weiter Stücke aus dem GV-Bestand finden. Nur die Waren anfassen oder daran riechen können sie im virtuellen Auktionshaus nicht mehr. Die Zeiten des sinnlichen Stöberns auf großer Fläche sind vorbei.