Auch in Sachsen-Anhalt ist am Sonntag gewählt worden. Ein hoher Anteil unzufriedener Wechselwähler ist hier Tradition – warum eigentlich?

Magdeburg - Der Landtag in Magdeburg, eine schmucke Barockvilla aus dem 18. Jahrhundert, strahlt am Wahlabend im weiß-goldenen Licht der von den TV-Sendern aufgestellten Scheinwerfer. Doch nur einen Steinwurf entfernt steht eine Menschenmenge im Dunkeln auf dem Domplatz und hält stumm Kerzen und Transparente: Das Bündnis gegen den Rassismus hat sich versammelt. Sie sei schockiert über das Wahlergebnis, sagt die Sozialarbeiterin Brigitta H. : „Dieses hohe Abschneiden der AfD ist doch peinlich für unser Land. Das entspricht nicht der bunten Vielfalt von Sachsen-Anhalt.“

 

Bestürzung, Schock und fassungsloses Entsetzen: dass fast ein Viertel der Wählerschaft zu einer Partei wechselte, deren Landeschef André Poggenburg von sich behauptet, er sei „froh ein Rechtspopulist“ zu sein, ist in allen politischen Lagern spürbar. Der CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff ist mit nur leichten Verlusten und als Anführer der stärksten politischen Kraft eigentlich der Wahlsieger. Als er vor seine jubelnde Fraktion tritt, lächelt er nicht einmal. Er blickt mürrisch und wiegelt den Applaus ab. „Es ist schmerzhaft, dass wir eine so starke Kraft rechts von uns haben.“ Die Verluste der CDU seien vergleichsweise gering, aber er sei sicher, dass auch die Christdemokraten an die AfD verloren hätten. „Und wir müssen die vielen Protestwähler, die früher vermutlich Nichtwähler waren, von der AfD zurückholen.“ Haseloffs Bündnis mit der SPD hat voraussichtlich keine Mehrheit mehr, er muss sondieren, ob er die Grünen oder die FDP als dritten Koalitionspartner ins Boot holen kann – vorausgesetzt, die beiden schaffen es knapp in den Landtag. Beide Kleinparteien wären dem Ansinnen nicht abgeneigt, aber sie hatten am Wahlabend eine Zitterpartie zu durchleiden, ob es für sie reicht.

Die Grünen würden sich wohl nicht verweigern

Die grüne Spitzenkandidatin Claudia Dalbert sieht den CDU-Ministerpräsidenten zwar kritisch: Der habe mit seiner Forderung nach Obergrenzen für Flüchtlinge „am rechten Rand die Wählerstimmen gefischt“. Gleichwohl könnte sich die Professorin für Psychologie „Kenia“ (schwarz-rot-grün) gut vorstellen: „Wenn eine demokratische Regierung nur durch CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen möglich wäre, würden wir das Projekt sehr ernsthaft prüfen. Aber am Ende müssen da grüne Projekte drin sein, die fünf Jahre tragen.“

In der Stunde des Schocks scheint zunächst völlig Undenkbares plötzlich möglich – zum Beispiel bei den Linken: Ob er denn eine bürgerliche Minderheitsregierung auch unter dem Christdemokraten Haseloff tolerieren würde, wird da beispielsweise der Linken-Spitzenkandidat Wulf Gallert gefragt. Und was sagt der Mann, statt mit dem Kopf zu schütteln? Es sei ja absehbar, dass eine Regierungsbildung für die CDU „schwierig werden wird“, aber „sollte es gar nicht gehen, dann trinken wir mal eine Tasse Tee und reden miteinander“. Die Linke hat schon mal eine Minderheitsregierung toleriert: das rot-grüne Kabinett von Reinhard Höppner – das war das „Magdeburger Modell“.

Der größte Wahlverlierer ist die SPD

Vor allem der Linken-Chef Gallert, der schon einmal fast das Amt des Ministerpräsidenten erreicht hätte, ist tief betroffen vom Absturz seiner Partei. „Eine Niederlage, ein bestürzendes Ergebnis“, sagt er. Wie konnte es zu diesem „substanziellen Rechtsruck“ kommen, fragt sich Gallert: Menschen, die Ungerechtigkeit erfahren hätten, „und im Prinzip zu unserer Wählerschaft gehören“, seien zur AfD abgewandert, weil die die Flüchtlinge zur „Zielscheibe“ gemacht habe. Im Studio des MDR widerspricht André Poggenburg, der selbstbewusst an seinem neuen Arbeitsplatz im Landtag auftritt, einer solchen Analyse: „Wir von der AfD haben nie gesagt, der Flüchtling ist schuld. Wir haben stets gesagt, die etablierten Parteien sind schuld.“

Der größte Wahlverlierer aber ist die SPD. Elf Prozent minus. Geschrumpft auf ein Drittel dessen, was einst Reinhard Höppner für die SPD holen konnte. „Wir können nicht alles auf die Flüchtlingskrise schieben“, sagt Rüdiger Erben, der Vize-Fraktionschef. Ein offenes Geheimnis ist es, dass der Kleinkrieg zwischen der SPD-Spitzenkandidatin Katrin Budde und dem SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn, genannt der Spar-General, der Partei geschadet hat. Nach dieser Wahl, so ist zu vermuten, werden einige Posten wackeln.