Seit Monaten gibt es rechtsextreme Ereignisse in Sachsen. Doch was bei Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nach schwachem Krisenmanagement aussieht, ist Realitätsverweigerung, populistisches Kalkül und politische Strategie.

Dresden - Stanislaw Tillich steht vor dem früheren Baumarkt in Heidenau, in dem momentan 320 Kriegsflüchtlinge Liege an Liege hausen, und gibt sich bestürzt: „Ich kann das kaum in Worte fassen“, kommentiert der sächsische Ministerpräsident die brutalen Ereignisse des vergangenen Wochenendes, als bei den Attacken eines rechtsextrem aufgeputschten Mobs auch 33 Polizisten verletzt wurden. Doch fast im selben Atemzug fügt er hinzu: „Das ist nicht unser Sachsen.“

 

Wie so oft in den vergangenen Monaten übt sich der 57-jährige in Realitätsverweigerung. Als hätte es nicht zuvor schon ähnliche Vorfälle in Dresden, Schneeberg, Hoyerswerda, Meißen und Freital gegeben, blendet er die hässlichen Bilder aus, die sein Land bundesweit stigmatisieren. Immerhin entfielen allein 42 der 202 Übergriffe auf Asylunterkünfte, die im ersten Halbjahr in Deutschland bekannt wurden, auf den Freistaat an der Elbe. Rassistische Stimmungsmache ist zwischen Lausitz und Erzgebirge an der Tagesordnung.

Sein fataler Satz: Der Islam gehört nicht zu Sachsen

Doch Tillich, der sich seit Jahren stets nur in Erfolgen sonnt und die unangenehmen Dinge an seine Minister delegiert, tut so, als sei all das nicht sein Sachsen. In einer teuren Werbekampagne unter dem Motto „So geht sächsisch“, die zuletzt auch als PR-Beilage in vielen überregionalen Zeitungen beilag, lässt er stattdessen das Land der Tüftler, Gründer und Kreativen feiern.

Noch im Frühjahr, als längst alle Welt über Pegida sprach, hatten Tillich und seine Regierung hierzu öffentlich nicht ein Wort verloren. Als es schließlich doch unumgänglich wurde, schickte er seinen Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu den Islamhassern, um aber sofort durch seine Staatskanzlei erklären zu lassen: Mit ihm sei das nicht abgesprochen. Und um gleich noch die hierbei adressierte Klientel zu hätscheln, setzte er noch einen Satz drauf: „Der Islam gehört nicht zu Sachsen.“

Und auch jetzt, nach den nächtlichen Schlachten in Heidenau, kniff der Regierungschef vor klaren Worten. Während er sich in Fassungslosigkeit gefiel, ließ er seinen Vize, Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) aussprechen, was er als Christdemokrat offenbar nie über die Lippen brächte: „Es ist hier ein brauner Mob unterwegs gewesen, der Hass und Gewalt gesät hat.“

Tillich hat zu Pegida viel zu lange geschwiegen

So aber kann Tillich sicher sein, dass er es sich auch künftig nicht verscherzt mit weiten Teilen der sächsischen Bevölkerung und der eigenen Partei, in der viele mehr oder weniger offen mit den Protesten sympathisierten. Denn auch in der sächsischen CDU-Landtagsfraktion sitzen Leute, die zum äußersten rechten Parteiflügel zählen. Bei ihnen klingt Asylhetze nur ein wenig subtiler als bei der AfD, um sich nach außen hin von dieser noch zu unterscheiden.

Tillich beteiligte sich nicht an einer einzigen Montagsveranstaltung der Initiative „Weltoffenes Dresden“, mit der aufrechte Sachsen über Monate versuchten, Pegida etwas entgegenzusetzen. Und als er doch noch auf einer Kundgebung gegen diese Bewegung auftrat, wirkte das so dünnlippig und gesichtslos, dass ihn der ebenfalls bei der Veranstaltung sprechende Schlagersänger Roland Kaiser mit viel deutlicheren Worten geradezu vorführte.

In Sachsen sieht man den Feind stets links

Doch Tillich, der seine Karriere schon in der ostdeutschen Block-CDU auf einer staatlichen Position begann, die einem Vizelandrat entsprach, ficht das nicht an. Er beruft sich auf seinen politischen Ziehvater Kurt Biedenkopf, der einst im Brustton der Überzeugung erklärte: Die Sachsen wären „immun gegen den Rechtsextremismus“. Bis heute gilt die Äußerung als unfreiwilliger Beleg für eine Geisteshaltung, die nicht nur in Sachsens CDU, sondern in einem Großteil der politischen Klasse des Landes – Justiz, Polizei, Behörden – manifest ist: Wenn Gefahr entsteht, dann von links. Auf dem rechten Auge ist man blind.

Und eben damit und mit seinem monatelangen Schweigen zu allen Vorkommnissen mit rechtsextremen Hintergrund machten Tillich – und sein engeres Umfeld – jene ausländerfeindlichen Tendenzen erst so weit salonfähig, dass sie sich nun in jenen Exzessen entluden.

Warum war die Polizei so krass unterlegen?

Hinzu kommt offenbar ein weiteres Kalkül. Da sich Sachsen zuletzt als Vorreiter für neue Grenzkontrollen im EU-Schengenraum profilierte, wollte man womöglich Signale aussenden, dass die Polizei dem Asylbewerberstrom nicht mehr gewachsen sei. Insider in Dresden sprechen recht deutlich davon, dass man die Polizeihundertschaft, die in die beiden ersten Heidenauer Krawallnächte geschickt wurde, bewusst auf Verschleiß gefahren haben könnte. Denn die Polizisten waren nicht mal mit Schutzschilden ausgerüstet, geschweige denn mit Wasserwerfern, wie sie zum Standard der Dresdener Polizei gehören, wenn Linke versuchen, Neonazis zu blockieren. Fehlanzeige auch bei einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE), die sich gezielt die Rädelsführer greift. So gab es in der ersten Nacht, als nahkampferfahrene Hooligans und Nazis 31 Beamten teils schwere Blessuren zufügten, nur eine einzige Festnahme.

Dabei verfügt Sachsen für solche Fälle über sieben Hundertschaften an Bereitschaftspolizei, und der designierte Chef der Dresdener Polizeidirektion war bis vor kurzem sogar deren Chef. Sollte er sich plötzlich so vertan haben – oder sollte es eben gerade wie ein Polizeinotstand aussehen, fragt man sich etwa in der Polizeigewerkschaft. Und wenn ja – von wem kam dann der Befehl hierzu?