Lange sind Forscher davon ausgegangen, dass Säbelzahnkatzen bereits vor einer halben Million Jahren aus Mitteleuropa verschwanden. Ein Irrtum: Neue Funde zeigen, dass die Tiere doch Zeitgenossen der Steinzeitmenschen waren.

Tübingen/Schöningen - „Nachts sind die Menschen damals wohl in ihrem Lager geblieben“, vermutet der Archäologe Jordi Serangeli von der Universität Tübingen. Das Lager lag vielleicht auf dem Mittelgebirgszug Elm in der Nähe der heutigen Braunkohlegrube Schöningen in Niedersachsen; unmittelbar an der Grenze zu Sachsen-Anhalt. 300 000 Jahre ist das her, da fällt die Spurensuche natürlich schwer. Übrig geblieben ist von den Steinzeitjägern nichts außer ein paar Dutzend Werkzeuge aus Feuerstein sowie einer Stoßlanze, einem Bumerang-ähnlichen Wurfstock und neun Speeren aus Holz, die in der Braunkohlegrube gefunden wurden und angesichts ihres Alters als Weltsensation gelten. Jordi Serangeli leitet seit 2008 die Ausgrabungen und nennt gleich drei gute Gründe, aus denen so gut bewaffnete Menschen nachts die Sicherheit ihres Lagers schätzten: zwei Säbelzahnkatzen, deren Zähne und Knochen die Forscher in den vergangenen fünf Jahren in der gleichen Schicht wie die Speere fanden, und eine dritte Katze, deren Schädel ein wenig tiefer lag.

 

Diese Tiere der Art Homotherium latidens ähnelten zwar durchaus den heutigen Katzen mit ihren langen Krallen, die Wege dieser Säbelzahnkatzen aber hatten sich bereits vor mehr als zwanzig Millionen Jahren von denen ihrer Verwandtschaft getrennt. Während heutige Katzen ein breites Spektrum von Größen von unseren Stubentigern bis hin zum Löwen umfassen, rangierten die Säbelzahnkatzen meist in der oberen Größenklasse zwischen Leopard und Tiger. Mit einer Schulterhöhe von gut einem Meter, einer Länge von knapp zwei Metern, einem Gewicht bis zu 200 Kilogramm und den namengebenden messerscharfen, langen und gekrümmten Eckzähnen waren Homotherium-latidens-Säbelzahnkatzen wohl gleichermaßen Konkurrenten und Gegner der Steinzeitjäger vor 300 000 Jahren.

Pferde waren oft die Beute – von Mensch und Katze

Beide waren offensichtlich auf die gleiche, große Beute aus. In Schöningen waren das oft Pferde. Knochen dieser Tiere finden die Forscher in der Braunkohlegrube immer wieder, an etlichen davon zeigen feine Kratzer, wo die Steinzeitmetzger ihre Feuersteinklingen ansetzten, um ihre Beute in handliche Stücke zu zerlegen. Tauchte in einer solchen Situation eine Gruppe Säbelzahnkatzen auf, zog ein einzelner menschlicher Jäger oder zogen auch zwei leicht den Kürzeren, und die Tiere fraßen eine leichte Beute. Umgekehrt verloren vielleicht auch zwei Säbelzahnkatzen, die gerade ein Pferd gerissen hatten, ihre Mahlzeit, wenn eine Gruppe Steinzeitjäger auftauchte, die aus sicherer Entfernung ihre Speere schleudern konnten. „Die gefährlichen Säbelzahnkatzen waren vielleicht einer der Gründe für die Steinzeitmenschen, Gruppen zu bilden und Fernwaffen zu entwickeln“, sagt Jordi Serangeli.

Diese Überlegung ist allein schon deshalb neu, weil die Forscher bis zum ersten Fund von Säbelzahnkatzen-Überresten in Schöningen im Mai 2012 davon ausgingen, dass diese Tiere in Europa bereits vor rund einer halben Million Jahren verschwanden. Erst die Funde in der Braunkohlegrube lieferten den Beweis, dass die großen Katzen mit den gefährlichen Eckzähnen und die zweibeinigen Jäger mit den Speer-Fernkampf-Waffen Zeitgenossen waren.