Vor 125 Jahren ist eines der bekanntesten deutschen Unternehmen entstanden: Salamander. Zwei Wegbegleiter im Interview.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Kornwestheim - Als Franz Josef Dazert 1973 den Vorstandsvorsitz der Salamander AG übernimmt, ist Hanspeter Sturm bereits seit 18 Jahren Chef der Leichtathleten mit dem Lurchi auf der Brust und hat zudem die Unternehmensgeschichte erforscht. Nun, zum 125. Geburtstag der Firma, treffen sich die beiden Kornwestheimer Grandseigneurs, um über ihr unvollendetes Lebenswerk zu reden.

Meine Herren, Lurchis berühmte Abenteuer endeten stets mit den Worten: "Salamander lebe hoch!" Nun ist die Kornwestheimer Schuhfirma Salamander mausetot. War diese Industrietragödie bereits absehbar, als Sie am 1. Juli 1985 gemeinsam den 100. Geburtstag des Unternehmens feierten?


Hanspeter Sturm: Nein, Salamander galt seinerzeit als Unternehmen, das den Osthandel entscheidend nach vorne gebracht hatte. Das betonte damals auch der Festredner, Ministerpräsident Lothar Späth. Jeder hat den Vorstandsvorsitzenden Dazert an diesem Tag für seinen Spürsinn gelobt.

Herr Dazert, warum haben Sie als guter rheinischer Katholik Mitte der 70er Jahre Ihr Heil ausgerechnet bei den realsozialistischen Atheisten gesucht?


Franz Josef Dazert: Es war umgekehrt: die DDR-Regierung hatte eine bessere Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern beschlossen. Also mussten Schuhe importiert werden - möglichst mit einem klangvollen Namen: Salamander. Dafür war Alexander Schalck-Golodkowski zuständig. Seine Leute kauften 1973 fast unser ganzes Lager leer. In einem zweiten Schritt entstand eine Lizenzproduktion von Salamander-Schuhen in volkseigenen Betrieben. Wir lieferten Modelle und das Knowhow. Dieses Konzept wurde später von der Sowjetunion übernommen. Einer meiner Gesprächspartner war Wladimir Putin.

Damals galten Sie als Visionär. Doch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde Ihnen vorgeworfen, dass Sie am Russlandgeschäft festgehalten hätten, obwohl es nicht mehr profitabel war.


Dazert: Unsinn! Tatsache ist: eine Nachfolgefirma von Salamander verkauft heute jährlich mehr als vier Millionen Paar Schuhe im Osten. Die Macher sind ehemalige Salamander-Angestellte - also meine Leute! Der als Insolvenzverwalter bekannte Volker Grub war damals Vorsitzender der Salamander AG und hat ihnen diese Sparte bei der Zerschlagung des Unternehmens günstigst überlassen. Die neuen Eigner haben in all den Jahren damit gutes Geld verdient.

Auf Herrn Grub sind Sie nicht gut zu sprechen.


Dazert: Grub ist eigentlich Rechtsanwalt. Sein Auftrag war, Salamander im Ganzen oder in Teilen zu verkaufen - und zwar rasch. Wir haben Salamander in den 80er und 90er Jahren von einem Schuhhersteller zu einem Mischkonzern umgebaut. Bei seiner Verkaufsaktion gab Grub unsere Parkhausbetreiberfirma Apcoa für 265 Millionen Euro ab. Zwei Jahre später veräußerte sie der Erwerber laut "Frankfurter Allgemeine Zeitung" für 885 Millionen Euro weiter. Das zeigt, welche Werte Salamander besessen hatte - und wie man damit umgegangen ist.

Sie waren damals Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates. Grub hat Sie nach 30 Jahren Firmenzugehörigkeit vor die Tür gesetzt.


Dazert: Ich musste meinen Schreibtisch räumen. Grub hat das Unternehmen Stück für Stück verkauft, anstatt - wie von mir gefordert - als Dienstleistungskonzern zu erhalten und auszubauen. Salamander zerfiel, bei diesem Prozess wollte ich nicht zuschauen. Insofern war es kein Rausschmiss, ich wäre auch von alleine gegangen.

Wie kamen Sie mit der Situation klar?


Dazert: Wir hatten damals eine tragfähige Konzeption erarbeitet. Alles wurde über Bord geworfen; die Chancen, Salamander weiterzuführen, wurden nicht genutzt. Das Ganze war für mich eine Katastrophe. Ich hätte mich umbringen können.

Wer hat Sie davon abgehalten?


Dazert: Ich mich selbst.

Sie erscheinen noch heute sehr betroffen.


Dazert: Wenn Sie mich zu diesen Vorgängen befragen, fällt es mir in der Tat schwer, die Fassung zu bewahren. Seit Jahren meide ich den Weg vorbei an den leerstehenden Fabrikgebäuden. Salamander war ein sehr, sehr wichtiger Teil meines Lebens. Ich konnte mich in der Firma verwirklichen. Ich war Salamander.

Herr Sturm, Sie waren Polizeipräsident und Professor für Staatsrecht. Warum haben Sie sich in Ihrer knappen Freizeit für ein Wirtschaftsunternehmen engagiert?


Sturm: Mein Vater war bei Salamander Küchenchef, und ich hatte in jungen Jahren das Vertrauen des Firmenmitbegründers Ernst Sigle erhalten. Sigle habe ich den Besuch des Gymnasiums und das Jurastudium in Tübingen zu verdanken. Von ihm erhielt ich auch den Auftrag, die Firmengeschichte zu erforschen. So entstand Mitte der 50er Jahre der erste Band meiner Salamander-Chronik, dem bis 2002 fünf weitere Standardwerke gefolgt sind.

Welche Bedeutung hatte die Firma Salamander für Kornwestheim?


Sturm: Ohne Salamander hätte es die Entwicklung zur Stadt nicht gegeben. Bei der Gründung des Unternehmens am 1. Juli 1885 war Kornwestheim ein Bauerndorf, eingeklemmt zwischen den Residenzstädten Stuttgart und Ludwigsburg. Mit dem Angebot des Firmengründers Jakob Sigle "Bei mir kannst du arbeiten" ist die Einwohnerzahl schlagartig gewachsen. Schon um die Jahrhundertwende produzierte Salamander jährlich 220.000 Paar Schuhe. 1904 zog das Unternehmen dann an die Bahnlinie und beschäftigte in der riesigen Fabrik Tausende angelernte Hilfskräfte.

Dazert: Interessant ist, wofür die Firma ursprünglich stand: Jakob Sigle und sein Kompagnon Max Levy gründeten den ersten Schuhdiscounter. Der spätere Generaldirektor von Salamander, Alex Haffner, sagte: "Salamander liegt ein einfacher und großer Gedanke zugrunde: Wenn wir die Konkurrenz überflügeln wollen, müssen wir billiger sein als sie." Und Levy hatte erklärt: "Ich mache keine Schuhe für den Grafen und die Gräfin; ich mache sie für das Gesinde."

Die Zielgruppe "Gesinde" verschwand aber im Laufe der Zeit.


Dazert: Richtig. Deshalb wurde in den 60er Jahren das Image von Salamander geändert. Neue Zielgruppen sollten mit einer immer größeren Produktpalette gewonnen werden, wofür höhere Preise in Kauf genommen wurden. Die Schuhe sollten den unterschiedlichen modischen Ansprüchen gerecht werden - denen der 70-Jährigen, die es eher zurückhaltend mag, und denen des 17-Jährigen, der an der Eisdiele mit einem sportlichen Outfit die Mädels beeindrucken will.

Sie hätten als Vorstandsvorsitzender das Markenprofil schärfen können. Die Firma Deichmann hat es ja auch geschafft, sich mit ihren Schuhgeschäften zu behaupten.


Dazert: Deichmann - ein ehemaliger Salamander-Mann - war Händler und wusste von der Bedeutung des Preises. Er kaufte billig ein, er importierte. In der gleichen Zeit investierte Salamander, produzierte fast ausschließlich in Deutschland und verabschiedete sich von der Discounteridee. Die Firma verlor dadurch Marktanteile und musste die Produktion zurückfahren. Zudem trennte sich die Gründerfamilie von ihren Aktien. Wir waren folglich gezwungen, neue Aktionäre suchen - für eine Firma ohne Rendite in einem stagnierenden Markt. Nur durch neue Geschäftszweige konnten wir die Probleme lösen.

Sturm: Man muss bedenken: als Herr Dazert 1973 zu Salamander kam, stellte das Unternehmen pro Jahr etwa 13 Millionen Paar Schuhe her. Die Lager quollen über, weil es nicht genügend Abnehmer für die Ware gab. Gleichzeitig drängten immer mehr Anbieter aus Billiglohnländern auf den Markt, und viele westdeutsche Einzelhändler waren nicht mehr bereit, ausschließlich Salamander-Produkte zu verkaufen. Diese negative Entwicklung konnte das Unternehmen zunächst durch das Ostgeschäft kompensieren. Doch nach der Wende war auch dort die Konkurrenz zu groß, der Schuhproduzent Salamander hatte seine privilegierte Stellung verloren.

Der Anfang vom Ende?


Sturm: Mit solchen Analysen bin ich vorsichtig. Ein schlauer Historiker hat einmal gesagt: "Man kann keine Geschichte schreiben, solange die Kacke dampft." Man kann aber belegen, dass das Unternehmen unter Dazerts Führung zwischen zehn und 18 Prozent Dividende ausgeschüttet hat. Sprich: es war gesund. In Lebensgefahr geriet Salamander erst, als die Firma im Jahr 2000 von dem Energiekonzern EnBW geschluckt wurde.

Herr Dazert, Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie sich auch noch ins Tagesgeschäft eingemischt hätten, als Sie schon lange keine offizielle Funktion mehr hatten.


Dazert: Es stimmt, dass es Meinungsverschiedenheiten mit meinen Nachfolgern gab. Es fiel mir schwer loszulassen und ihre Vorstellungen zu akzeptieren.

Sie selbst haben niemals Fehler gemacht?


Dazert: Natürlich habe ich Fehler gemacht. Einer dieser Fehler war, dass ich Großaktionären wie der Münchner Rück und der Deutschen Bank zu lange vertraut habe.

Damit bedienen Sie ein Klischee.


Dazert: Banken und Versicherungen sind für mich kein Feindbild. Sie haben eine Konzeption, und darauf ist ihre Geschäftspolitik abgestimmt. Das Problem ist: wenn neue Leute an die Spitze kommen, so haben die oft andere Vorstellungen als ihre Vorgänger. Auch bei Daimler hat man geglaubt, Chrysler bringe durchschlagenden Erfolg, und kurze Zeit später war man froh, die Firma wieder los zu sein. Die EnBW wollte zur Jahrtausendwende bundesweit agieren, und dafür sollte Salamander hilfreich sein. Als der Konzern dieses Ziel verwarf, hatte Salamander in der neuen Konzeption keinen Platz mehr. Das kann ich verstehen. Aber die Art und Weise, wie Salamander aufgelöst wurde, macht mich wütend: Das war ein Ausverkauf der Gesellschaft unter Missachtung der Menschen, der Chancen und der Werte.

Herr Sturm, von dieser Entwicklung sind auch die Leichtathleten betroffen, die Sie seit 1955 führen. Salamander hat nicht nur als Firma Schuhe produziert, sondern auch als Verein massenweise deutsche Meister. Sehen Sie für Ihren Sport in Kornwestheim eine Zukunft?


Sturm: Ja, wir haben viele junge Talente in unserem Verein, hochmotivierte ehrenamtliche Übungsleiter und eine sehr gute Infrastruktur. Bei deutschen Jugendmeisterschaften landen wir nach wie vor ganz weit vorne. Das spornt mich an, auch als 80-Jähriger weiterzumachen.

Aber Sie haben keinen Sponsor mehr. Vorzeigesportler wie der amtierende Deutsche 100-Meter-Meister Tobias Unger verlassen den Verein, weil der Langenfelder Ara-Konzern, der mittlerweile die Salamander-Markenrechte besitzt, sie nicht mehr unterstützt.


Sturm: Das ist richtig. Nichtsdestotrotz tragen unsere Leichtathleten stolz den Salamander auf der Brust. Lurchi gehört zu unserer Tradition - und zu Kornwestheim.

Dazert: Und so schallt's hier immer noch: Salamander lebe hoch!