Am Montag feiert der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie seinen siebzigsten Geburtstag. Seit knapp dreißig Jahren ist er von einer mörderischen Fatwa bedroht. Seinen Glauben an die zivilisierende Kraft des Erzählens hat das nicht gebrochen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Unter den verbotenen, verfolgten Werken, die die argentinische Künstlerin Marta Minujin auf der diesjährigen Documenta in ihrem spektakulären „Parthenon der Bücher“ verbaut hat, finden sich auch die „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie. Und anders als bei manchen der in das Kunstwerk eingebrachten Bücher ist der Grund dafür immer noch virulent genug, um das Leben des Autor mit einer Hypothek der Unsicherheit zu befrachten. Auch wenn Rushdie am kommenden Montag seinen 70. Geburtstag wohl unter etwas gelösteren Bedingungen feiern können wird als dies noch zehn Jahre zuvor möglich gewesen wäre.

 

1989 forderte der im Sterben liegende iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini „das stolze muslimische Volk der Welt“ auf, den Autor der „Satanischen Verse“ nebst allen an der Verbreitung des Buches Beteiligten hinzurichten, „wo immer sie auch sein mögen“. Dieser Bannspruch machte aus einem erfolgreichen britischen Schriftsteller mit indischen Wurzeln eine flüchtige Existenz, die – in der realen Welt bedroht, verfolgt, gejagt – Obdach einzig noch in der Literatur fand.

In der zu seinen besten Werken zählenden Autobiografie „Joseph Anton“ hat Rushdie die traurige Geschichte seines Lebens aufgeschrieben: Vier zerbrochene Ehen, dafür eine 13 Jahre währende stabile Liaison mit einem Überwachungsteam der Polizei, permanentes Versteckspiel, ständig wechselnde Wohnsitze, Anfeindungen aller Art, von permanenter Todesangst und vom Schuldgefühl gegenüber den bei Attentaten und Demonstrationen tatsächlich zu Tode Gekommenen ganz zu schweigen. Das war der Preis für einen Roman, in dem es eigentlich um nichts gehen sollte als um die Frage, wie sich eine von Migration geprägte Welt zusammenfügt, in der alles infrage gestellt wird: Identität, Persönlichkeit, Kultur und Glaube.

Der Iran brauchte ein neues Feinbild

Wie tragisch, dass ausgerechnet gegen ein Buch, das die Lebensrealität vieler jener Menschen widerspiegelt, die später dagegen protestierten, das Edikt eines grausamen alten Mannes erging, der – wie Rushdie mutmaßt – nach dem sinnlosen iranisch-irakischen Krieg eines neuen Feindbildes bedurfte. Wie tragisch, dass die religiöse Empörungsbereitschaft allemal ausgeprägter ist als jene, von dem Stein des Anstoßes genauere Kenntnis zu erlangen.

Wobei man einräumen muss, dass Rushdies magisch-realistisches Traumgespinst über die Offenbarungen des Kaufmanns Mahound – der alte christliche Schimpfname für den islamischen Religionsstifter – religiöser Toleranzbereitschaft durchaus einiges abverlangt, wenn er den Huren eines Bordells die Namen der zwölf Frauen des Propheten gibt, oder wenn sich die Empfängnis des Heiligen Wortes als homoerotisch getöntes Techtelmechtel gestaltet, von dem der Engel Gibril folgendermaßen erzählt: „Mahound ringt mit dem Erzengel, schleudert ihn hin und her, und ich sage dir, er dringt überall in mich ein, seine Zunge in mein Ohr, seine Faust um meine Eier.“ Kein Wunder, dass sich in den auf diese Weise offenbarten Koran satanische Verse eingeschlichen haben sollen, jene, denen der Roman seinen Titel verdankt.

Vielleicht sollte man an dieser Stelle den Blick noch einmal aufs „Parthenon der Bücher“ lenken und daran erinnern, dass es eine Zeit gab, in der in der Bundesrepublik selbst „Tarzan“-Comics als sittengefährdend galten und dass vor zehn Jahren in amerikanischen Gottesdiensten „Harry Potter“-Romane verbrannt wurden. Die Verteufelung von Büchern und Autoren ist keine islamische Eigenheit. Eine Fatwa dagegen schon. Rushdie ist vielleicht der prominenteste, aber beileibe nicht der einzige Gegenwartsschriftsteller, gegen den eine Fatwa erging. Eine solche ereilte die für die Gleichberechtigung der Frauen eintretende Autorin Taslima Nasrin in Bangladesch, der Algerier Kamel Daoud wurde in seiner Heimat wegen des 2016 auch in Deutschland gefeierten Romans „Der Fall Mersault – eine Gegendarstellung“ mit dem Tod bedroht, der iranische Rapper Shahin Najafi floh vor einer Todes-Fatwa aus dem Iran nach Deutschland, ein radikaler Scheich rief zum Mord am ägyptischen Nobelpreisträger Nagib Mahfuz auf - die Reihe ließe sich lange fortsetzen bis hin zu den Opfern der Attentate auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“.

Mit Geschichten Tyrannen zivilisieren

Und doch ist eine Fatwa zunächst nichts anderes als ein religiöses Gutachten, das zu allen möglichen Fragen eingeholt werden kann. Weil es keine absolute Lehrautorität gibt, können mehrere, sogar gegensätzliche Fatwas nebeneinander bestehen. Was den Fall Rushdie so außerordentlich macht, ist der Umstand, dass er von einer exponierten Autorität wie Ayatollah Khomeini persönlich gleichsam für vogelfrei erklärt wurde und dass Khomeinis Nachfolger Khamenei das Todesurteil erneuerte. Bis heute ist es in Kraft, auch wenn sich das Interesse inzwischen gelegt zu haben scheint, es wirklich zu vollstrecken. Noch 2015 genügte allerdings ein Auftritt Rushdies bei der Frankfurter Buchmesse, um den Iran seine Teilnahme brüsk absagen zu lassen. Und hoffte man im letzten Jahr nach dem Abschluss des Atomabkommens noch auf eine zaghafte Annäherung an den Westen, so brachten die Hardliner ihre Truppen sogleich gegen den vor kurzem wiedergewählten moderaten Präsidenten Rohani in Stellung, indem sie das Kopfgeld auf den Schriftsteller erhöhten.

Als Kind träumte Rushdie davon, mit Geschichten mörderische Tyrannen zivilisieren zu können wie in Tausendundeiner Nacht. Der Erwachsene musste das Gegenteil erfahren, dass Literatur Tyrannen erst so richtig aufpeitscht. Und doch hält er daran fest, dass der Mensch, das Geschichten erzählende Wesen, die Freiheit haben muss, dies auch zu tun. Zu den schönsten seiner Werke zählt der Indien-Roman „Mitternachtskinder“. Für die Befreiung von der kolonialen Vergangenheit des Subkontinents findet Rushdie einen postkolonialen Stil, in dem Mythos und Wirklichkeit ungefähr so miteinander umgehen, wie der Erzengel Gibril mit dem Propheten Mahound in der zitierten Passage. Eine Verbindung, die bis zu seinem letzten Roman „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Tage“ fruchtbar blieb.

Von Ibn Ruschd, wie der Philosoph Averroes auf Arabisch heißt, übernahm der Vater des Schriftstellers einst den Familiennamen: Er steht für Argumente, Fortschritt, für die Befreiung der Philosophie aus den Fesseln der Religion. Und es sind diese Ideen, für die der inzwischen in New York lebende Rushdie kämpft, die die Grundwerte jener literarischen Republik bilden, die er gegen die Zudringlichkeiten von Staaten und Gottesstaaten jedweder Art verteidigt – in öffentlichen Gesprächsrunden, in die er sich wieder häufiger mischt, auch gegen den derzeitigen Präsidenten der USA. In seinem für September angekündigten USA-Roman „Das goldenen Haus“ soll ein skrupellos ehrgeiziger, narzisstischer und mediengewandter Schurke, der Make-up trägt und sich die Haare färbt, eine tragende Rolle spielen.

An seinem siebzigsten Geburtstag mag sich Rushdie mit einer Regel trösten, die sich aus der Geschichte der verbotenen Bücher ziehen lässt: Das, was einmal ausgelöscht werden sollte, hat zumeist lange Bestand.