In einem Steinbruch im Wald wird das Material abgebaut, mit dem das Ulmer Münster saniert wird. Die Fachwelt nimmt interessiert zur Kenntnis, dass der Stubensandstein wieder verwendet wird. Ihn zu finden, war eine Anstrengung.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Waldenbuch - Passionierte Wandersleut’ finden die Retter des Ulmer Münsters leicht: Auf dem Rundwanderweg vier bei Waldenbuch, dort, wo die Holzskulptur des Waldgeistes steht, rechts ab. Nach etwa 200 Meter sind Maschinen aus einem Steinbruch zu hören.

 

Dort, im Forst zwischen Waldenbuch und Dettenhausen, wird mit Steinsägen das Material abgebaut, das die zerbröselnde Fassade des Münsters ersetzen soll. Aber was heißt Steinbruch: „Eigentlich ist das nur ein Sandkasten“, sagt Albrecht Lauster. Sein Unternehmen ist mit dem Abbau beauftragt. In der Tat misst die Grube nicht mehr als die Grundfläche einer Sporthalle. Die Maschinen arbeiten sich in den nächsten Jahren nach und nach durch die Landschaft. Hinter ihnen wird umgehend das Erdreich aufgefüllt und wieder aufgeforstet. Gearbeitet werden darf nur im Winter. Nur unter solchen Auflagen hat der Naturschutz den Abbau zugelassen.

Das Loch in der Landschaft hat kulturhistorische Bedeutung

Weil sich die kulturhistorische Bedeutung eines Lochs in der Landschaft Laien kaum erschließt, hat die Stadt Waldenbuch an der Einfahrt zur Baustelle eine Schautafel aufstellen lassen. Seine Gemeinde sei „stolz, ein Teil einer sehr wichtigen Aufgabe zu sein“, sagt ihr Bürgermeister Michael Lutz. Womöglich folgt der Tafel ein ganzer Lehrpfad.

Das mag übertrieben scheinen, aber in der Tat beachtet zumindest die Fachwelt mit Interesse, was in jener Grube geschieht. Nicht nur das Ulmer Münster, auch das Kloster in Bebenhausen, die Stiftskirche in Tübingen oder der Kölner Dom sind aus dem schwäbischen Stubensandstein erbaut. Sie alle eint der Verfall, verursacht letztlich von Abgasen. Bisher haben die Sanierer solcher historischer Bauten andere Gesteinsarten bevorzugt. In Ulm wird wieder das Original verwendet.

Dies geschehe aus „physikalischen, chemischen und ästhetischen Gründen“, sagt Michael Hilbert. Sein Arbeitsplatz ist weltweit einmalig. Hilbert trägt den Titel des Ulmer Münsterbaumeisters. Unter dem ersten einer langen Reihe seiner Vorgänger begann 1377 der Bau des Münsters. Schon während der Bauzeit entschieden sich weitere Baumeister für ein Dutzend unterschiedlicher Steinarten – je nach Verfügbarkeit und nicht zuletzt der politischen Lage. Diese wechselte oft: Der letzte Stein wurde mehr als 500 Jahre nach dem ersten gesetzt. 1890 ward die Kirche mit dem höchsten Turm der Welt vollendet. Mit der Fertigstellung begann schon die Sanierung.

Aus heutiger Sicht „ist das Münster ein ziemlicher Flickenteppich“, sagt Hilbert – eben wegen des unterschiedlichen Gesteins. Die Mixtur bereitet dem Baumeister Sorgen. Der Sandstein saugt das Wasser auf, das der Kalkstein abweist. Aus dem Muschelkalk wird Gips ausgewaschen, der sich als undurchlässige Schicht absetzt. Beides zerstört das Mauerwerk. Und nach der jüngsten Sanierung der Westfassade färbte sich die anfangs gelbliche Oberfläche der Steine zu schnödem Grau.

2380 Steine sind zu ersetzen, 3800 zu restaurieren

Kurzum: Für die aktuelle Sanierung wird ausschließlich der Stubensandstein aus der Grube bei Waldenbuch verwendet. 5800 Quadratmeter der Münster-Fassade sind dafür eingerüstet worden. Rund 25 Millionen Euro wird sie kosten. 2380 Steine sind zu ersetzen, 3800 zu restaurieren. Am Ende „bleiben 51,8 Prozent der Außenfassade historisch“, sagt Hilbert. Der Rest wird ersetzt sein. Wert legt der Baumeister auf die Feststellung, dass das Innere des Münsters im Originalzustand erhalten ist.

Das Kernproblem war, den richtigen Sandstein zu finden. Dass er im Schönbuch vorkommt, ist überliefert. In hunderten von Steinbrüchen wurde er einst abgebaut und gemahlen, um schwäbische Haushalte mit dem seinerzeit bevorzugten Reinigungsmittel für Holzböden zu versorgen. Der Sand scheuert die Stube, das Kaolin in ihm saugt Fett auf und desinfiziert. Allerdings ist der letzte Steinbruch in den Siebzigern verschüttet worden.

Die Suche nach einem geeigneten Flöz begann mit Spaziergängen entlang ehemaliger Wasserläufe. Stubenstandstein setzt sich in Flussbetten ab. Anfangs war ein Findling am Wegesrand der einzige Hinweis auf einen möglichen Erfolg. Er war zunächst schlicht groß genug, um als Baustein für das Münster zu taugen. Geologen senkten Probebohrungen ins Erdreich und maßen die Zusammensetzung des Gesteins darunter mittels elektrischem Widerstand. Die ersten Funde waren enttäuschend. Der Sandstein war auf einer Tonschicht gen Tal gerutscht. Dies hatte Risse verursacht. Das Flöz war porös, damit untauglich.

Seine Verwendung hätte spätestens der Baumeister abgelehnt, der Abbau wäre nutzlos gewesen und teuer. Aus den Blöcken von der Größe eines Kleintransporters, die die Sägen aus der Landschaft schneiden, „werden teilweise filigrane Teile gefertigt“, sagt Hilbert. 100 bis 200 Stunden arbeite ein Steinmetz an einer einzigen zierenden Kreuzblume, sagt Hilbert. „Wenn dann am Ende der Stein zerbricht, sind mindestens 5000 Euro weg“.