Mit der Kritik der SPD an Nato-Manövern im Osten des Bündnisses wird nun auch in der Außenpolitik der Wahlkampf eröffnet. SPD-Chef Gabriel nimmt damit weiter Kurs auf Rot-Rot-Grün.

Berlin - Eigentlich gehört die Außenpolitik zu jenen Themenfeldern, in denen von Parteien – zumal wenn sie gemeinsam regieren – der Konsens gesucht wird. Und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) fühlt sich normalerweise wie kaum ein anderer Politiker diesem Prinzip verpflichtet. Umso bemerkenswerter ist nun seine Kritik an Nato-Manövern im Osten Europas, die er in Luxemburg am Rande eines EU-Außenministerrates erneuerte. Das Bündnis müsse das Gespräch mit Russland suchen, so Steinmeiers Credo. Man dürfe sich „nicht allein auf militärische Stärke verlassen“. Am Wochenende hatte er bereits davor gewarnt, durch „lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ die Lage zu verschärfen, womit er Liebesgrüße aus Moskau und Abscheu und Empörung vom Koalitionspartner erntete.

 

Die Äußerungen entsprechen Steinmeiers Kurs, die Konfrontation mit Russland nicht auf die Spitze zu treiben, zumal er damit rechnen muss, dass Länder wie Italien und andere große europäische Partner eine harte Linie nicht mehr lange mittragen. Aber bisher hatte Steinmeier immer großen Wert darauf gelegt, dass kein Dissens mit Kanzlerin Angela Merkel erkennbar wird. Bemerkenswert ist deshalb nicht, was er sagt. Bemerkenswert ist, dass er es sagt. SPD-Chef Sigmar Gabriel sekundierte prompt. Es gehe nicht darum, „dass wir jeden Tag Säbelrasseln üben“, sagte er und erinnerte daran, dass die Entspannungspolitik Willy Brandts im Kalten Krieg auf Dialog statt Konfrontation setzte. Deshalb sei jetzt auch nicht „ständig darüber zu reden, wie wir neue Aufrüstung organisieren können“. Wichtig sei stattdessen eine Abrüstungsinitiative.

Kurs Richtung Rot-Rot-Grün

Damit erreichen die Ausläufer des Bundestagswahlkampfs die Außenpolitik. Die SPD setzt sich von der Union ab, wo sie nur kann. Unter Führung von Parteichef Chef Sigmar Gabriel wird auch klarer, in welche Richtung die Reise stattdessen geht: Gabriel will, nur so kann man die jüngsten Indizien deuten, Rot-Rot-Grün wagen.

Die neuen Akzente in der Russlandpolitik der SPD fügen sich ins Gesamtbild, denn vor allem bei der Linken ist ein harter Kurs gegen Russland nicht statthaft. Vielen Grünen gehen Nato-Manöver an der Ostgrenze des Bündnisses ebenfalls zu weit. Und auch die SPD tut sich seit Beginn der Ukraine-Krise schwer mit dem rigiden Sanktions- und Ausgrenzungskurs der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber Russland. Befeuert von den Altkanzlern Gerhard Schröder und dem inzwischen verstorbenen Helmut Schmidt betrachtete man den Kurs der Bundesregierung an der Basis mit großem Unbehagen. Gabriel, innerparteilich zuletzt unter großem Druck, sprach seiner Partei aus der Seele, als er im Mai unvermittelt eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen forderte und den bisherigen EU-Kurs als nicht sehr klug abtat.

Es ist nicht der erste Schritt, den Gabriel Richtung Rot-Rot-Grün unternahm. Er zeigt sich bei der Vermögenssteuer, die er für tot erklärt hatte, auf einmal wieder gesprächsbereit. Er äußert sich neuerdings überraschend kritisch über das Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP), entschuldigt sich für Fehler aus der Agenda-Zeit und trifft sich mit dem Mann, der das Herz vieler SPD-Anhänger gespalten hat: Oskar Lafontaine. Die emotionalste strategische Ansage ließ er im aktuellen „Spiegel“ verbreiten. Dort stellte er klar: „Der Gegner der Demokratie steht rechts.“ Die Sprüche von AfD und anderen erinnerten ihn an seinen Vater – „und der war ein unverbesserlicher Nazi.“ Die Linke müsse den Kampf gegen diese „alt-neuen Rechten“ aufnehmen. „In Europa müssen progressive Parteien und Bewegungen füreinander bündnisbereit“ sein, so Gabriel. Auch Deutschland brauche ein „Bündnis aller progressiven Kräfte“, die „Eitelkeiten und Spaltungen zu überwinden“ hätten.

Lackmustest Bundespräsidentenwahl

Prompt kam aus den Reihen von Linken, Grünen und SPD die Aufforderung, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln. Und so gilt jetzt die Kür eines neuen Bundespräsidenten für die Anhänger eines Linksbündnisses als Lackmustest für Gabriels Glaubwürdigkeit. Dessen Strategie dürfte bei dieser Personalie zunächst darin bestehen, ein Angebot Merkels abzuwarten. Sollte die Kanzlerin ihm den Gefallen tun, keinen überparteilichen, allseits akzeptierten Kandidaten vorzuschlagen, sondern eine in der Wolle schwarz-gefärbte CDU-Variante, darf man getrost davon ausgehen, dass Gabriel die Ampel auf Tiefrot stellt. Dann wird in der SPD damit gerechnet, dass Gabriel Linken und Grünen ein möglichst parteifernes, im Idealfall weibliches Angebot macht, das diese nicht ablehnen können.