Der zerstörte Kernkraftwerksblock in der Ukraine wird nun von einer neuen riesigen Stahlhülle umgeben.

Tschernobyl - Das Bauwerk ist imposant – und weltweit eine bisher einmalige Ingenieurleistung: In der Nähe der ukrainischen Stadt Tschernobyl ist jetzt eine riesige Schutzhülle über den 1986 explodierten Block vier des dortigen Kernkraftwerks in ihre endgültige Position geschoben worden. Damit soll der nach der Katastrophe erstellte Sarkophag vor weiteren Umwelteinflüssen geschützt werden – und so die Gefahr reduziert werden, dass bei einem eventuellen Einsturz dieser mittlerweile maroden Betonkonstruktion erneut große Mengen an Radioaktivität in die Umwelt gelangen.

 

Zur offiziellen Übergabe des Schutzmantels hatte sich neben ukrainischen Po-litikern auch Vertreter der beteiligten Bauunternehmen sowie des führenden Bankenkonsortiums auf dem Kraftwerksgelände eingefunden. „Yes, wir haben es geschafft“, würdigte der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko das Bauwerk bei einem Festakt nahe des Unglücksreaktors. Für den Bau der neuen Hülle war ein eigener Fonds eingerichtet worden, der von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) verwaltet wird. Der Bank zufolge kostete der Bau der Schutzhülle 1,5 Milliarden Euro. Die Gesamtkosten für das Projekt liegen mit 2,1 Milliarden Euro noch deutlich höher. Daran beteiligt haben sich mehr als 40 Geberländer. Die Bundesrepublik hat nach Angaben des Umweltministeriums rund 200 Millionen Euro beigesteuert.

Explodiertes Kraftwerk

Nachdem das Kraftwerk russischer Bauart am 26. April 1986 aufgrund einer Mischung von menschlichem Versagen und technisch unzulänglicher Konstruktion explodiert war und sich sein radioaktiver Inhalt über halb Europa verteilte, war schnelles Handeln angesagt. So wurde in gerade einmal fünf Monaten unter schwierigsten Bedingungen eine Betonhülle um Block vier errichtet, die von Anfang an nur als Notlösung für 20 bis 30 Jahre konzipiert war. Knapp zehn Jahre später begannen dann die Vorbereitungen für eine neue Schutzhülle. Doch erst 2011 war die Finanzierung so weit gesichert, dass 2012 der Bau des neuen Sarkophags in Angriff genommen werden konnte – zu geplanten Kosten von rund einer Milliarde Euro.

Der Bau der offiziell New Safe Confinement (neue sichere Endlagerung) genannten Hülle war von Anfang an eine gewaltige technische Herausforderung. Da die Strahlung in der Nähe des Unglücksblocks noch sehr hoch ist, musste zum Schutz der Arbeiter der neue Stahlmantel in einiger Entfernung errichtet werden. Dessen Ausmaße sind beeindruckend: etwa 108 Meter hoch, 162 Meter lang, 257 Meter breit und mehr als 36 000 Tonnen schwer. Damit ließe sich zum Beispiel auch die Kathedrale von Notre Dame umschließen.

Da die Bauarbeiten planmäßig verliefen, war die Halle so weit fertig, dass sie ab dem 14. November auf speziellen Schienen mit hydraulischer Hilfe rund 330 Meter weit an den nun endgültigen Platz über dem havarierten Kraftwerk geschoben werden konnte. Eine Weltneuheit, denn bisher war keine so große mobile Konstruktion errichtet und transportiert worden. Nicht ohne Stolz spricht die EBRD von „einem der ehrgeizigsten Projekte in der Geschichte des Ingenieurwesens“.

Eine Hülle für hundert Jahre

Nun soll die neue Hülle mindestens hundert Jahre halten, versprechen die Ingenieure. Dabei muss sie nicht nur Regen und Schnee fernhalten, sondern soll auch heftigen Winden, ja sogar einem mittelstarken Tornado sowie Erdbeben bis zur Stärke sechs trotzen können. Auch ein Feuer im Innern darf ihr nichts anhaben.

Wie es in den nächsten Jahren allerdings unter der Stahlhülle weitergeht, steht in den Sternen. Sicher ist, dass die technische Ausstattung der Schutzhülle nun vervollständigt wird. Belüftungssystem, Brandschutzeinrichtungen und Kräne sollen Ende 2017 betriebsbereit sein. Dann sollen in Zukunft zwei riesige, 96 Meter lange Brückenkransysteme im Innern der Hülle die geplanten Aufräumungs- und Abbrucharbeiten im Unglücksreaktor ermöglichen. „Es ist, wie eine nukleare Wunde zu schließen, die uns alle betrifft“, sagte Hans Blix, Ex-Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), bei der Übergabe der neuen Schutzhülle.

Wunde noch weit offen

Unter dem maroden Sarkophag aber ist diese Wunde noch weit offen. Wann die Demontage von Block vier in Angriff genommen wird, ist ungewiss. „Für die Räumung gibt es bislang weder Geld noch ein Konzept“, hieß es kürzlich in der russischen Zeitung „Kommersant“. Dem Vertrag zufolge sollen die Arbeiten von der Ukraine finanziert werden – doch die Kosten dürften zumindest derzeit deren finanzielle Möglichkeiten weit übersteigen. In diesem Zusammenhang lobte die Umweltorganisation Greenpeace zwar die Stahlhülle, warnte aber auch, dass der Wettlauf gegen die Zeit noch nicht gewonnen sei, weil der alte Sarkophag einzustürzen drohe. Wenn dies geschehe, werde es ungleich komplizierter, teurer und gefährlicher, den Atommüll zu bergen, mahnen die Umweltschützer.

Immerhin hat die Ukraine mit der neuen Stahlhülle Zeit gewonnen. Deren ausgeklügeltes Belüftungssystem soll künftig im Inneren trockenere und wärmere Luft spenden – und so helfen, Kondenswasser zu vermeiden. Dies bremst nicht nur den weiteren Zerfall des Betonsarkophags, sondern soll auch dazu beitragen, dass die neue Stahlkonstruktion nicht so schnell korrodiert. Für Betrieb und Wartung der Halle entstehen allerdings Kosten – auch die sollen von der ehemaligen Sowjetrepublik übernommen werden, die nach wie vor vier Atomkraftwerke betreibt. Nicht nur Umweltschützer hoffen, dass der von Krieg und wirtschaftlichen Problemen geplagte Staat diese Aufgabe auch meistern wird.