Henry ist ein sehr erfolgreicher Autor, der Erfolg bei Frauen und ein liebendes Weib hat. Die daraus entstehenden Probleme löst er ohne Rücksicht auf Menschen und Gesetze.

Stuttgart - Henry gibt hervorragend den Schriftsteller. So stellen sich Buchkäuferinnen den sensiblen, geheimnisvollen Mann hinter erstklasisgen Psychothrillern vor. Henry hat nur das eine Handicap, dass er nicht eine lesbare Zeile zu Papier bringen kann. Daran lässt Sascha Arangos „Die Wahrheit und andere Lügen“ von Beginn an keinen Zweifel, auch daran nicht, dass Henrys Frau all die erfolgreichen Bücher geschrieben hat und sich dabei stets im Hintergrund hält. Arango plaudert sogar aus, dass dieser Henry, der seine Frau schon lange mit einer Verlagsangestellten betrügt, unter dem properen Lack des netten Kerls ein kaltschnäuziger Opportunist ist. Mal erwägt er, die Ehefrau zu beseitigen, mal, die nun schwangere Geliebte zu killen. Henrys Welt ist simpel: gut und richtig ist das, was Henry nutzt.

 

„Die Wahrheit und andere Lügen“ ist in vielerlei Hinsicht also die laute, rotzige, auch prollige Variante eines Patricia-Highsmith-Romans: eine Geschichte der völligen Amoral im Busen einer Figur, die wie ein solider, um nicht zu sagen, vorbildlicher Mitbürger wirkt. Nur dürfte Arangos Krimi gar nicht funktionieren, plaudert der als Drehbuchschreiber für die „Tatort“-Reihe Erfolgreiche doch sofort all das aus, was Highsmith behutsam zurückhält, um ihren Figuren eine Chance zu geben, auch uns zu verführen.

Ein bisschen viel Allwissenheit

Tatsächlich übertreibt es Arango manchmal, wenn er mal so eben nebenbei nicht nur die Gedanken und Gefühle der jeweiligen Zentralfigur offen legt, sondern gleich noch in die Köpfe und Herzen anderer Beteiligter schaut. Diese altmodische Allwissenheit des Erzählers wirkt hier nicht souverän, sondern schrill auftrumpfend: Guckt mal, wie ich über alle(s) Bescheid weiß! Ist Euch auch klar, dass die einen diese Situation ganz anders erleben als die anderen?“

Aber diese Patzer sind nur sporadische, sie wären leicht weg zu lektorieren. Durch ihre zwar deutlich zur Schau gestellte, aber konsequente Misanthropie hält diese Geschichte ohne viele Geheimnisse doch zusammen. Dass sie geografisch unklar verortet ist, dass hier traumhaft das Deutsche mit dem Mediterranen gemixt wird, trägt wie die Klarstellung der Verhältnisse zu einer vorsätzlichen Entwurzelung bei.

Wie soll er das nur schaffen?

Es geht nämlich nicht um Feinheiten der Psychologie und schon gar nicht um Details der soziologischen Topografie. Es geht um die Frage: wird Henry durchkommen, wird er die Nerven – und das Glück – haben, polizeilichen Nachforschungen, dem Scharfsinn der Nachbarn und der Bosheit des Zufalls zu entgehen, nachdem er sich wirklich auf die andere Seite des Gesetzes gestellt hat?

Auch das ist natürlich ein Highsmith-Thema, das Arango eher auf der Plastiktrompete hinausbläst als es für ein Streichorchester zu orchestrieren. Aber so wie der Jazzer Ornette Coleman einst auf einem Grafton-Plastiksaxofon, dem billigsten Instrument, das er finden konnte, seine Aussage prägnant über die Rampe brachte, so gelingt es auch Arango, „Die Wahrheit und andere Lügen“ lesenswert zu halten. Denn beim Lesen der diversen Schweinereien Henrys müssen wir uns fragen, wie egomanisch und opportunistisch wir selbst unser Leben eigentlich gestalten.

Sascha Arango: „Die Wahrheit und andere Lügen“. Roman. C. Bertelsmann, München 2014. 299 Seiten, 19,99 euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro.